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Mobilfunknetze der Zukunft

Nachrichtentechniker:innen der Uni Bremen erforschen und entwickeln neue Mobilfunksysteme

Forschung

Viele Leserinnen und Leser dieses Textes werden sich wahrscheinlich gar nicht vorstellen können, dass es mal ein Leben ohne mobile Kommunikation gab. Zwar führte die Bundespost schon 1958 ein flächendeckendes Mobilfunknetz ein, doch erst seit Beginn der 1990er-Jahre kann man von einer Massenanwendung sprechen. Was mit analogen Netzen begann und mit digitalen fortgesetzt wurde, wird in Mobilfunkgenerationen eingeordnet — von 1G bis zu 5G, der aktuell schnellsten Verbindungsmöglichkeit mit den höchsten Datenraten. An vielen Entwicklungen der vergangenen Jahre waren Nachrichtentechniker:innen der Universität Bremen um Professor Armin Dekorsy entscheidend beteiligt. Und während sich 5G gerade durchsetzt, arbeiten sie schon wieder an der Nachfolge-Mobilfunkgeneration 6G.

Mit bis zu 300 Km/h fährt ein ICE durch Deutschland. An Bord mehrere hundert Passagiere, von denen viele online sind — mit Smartphone, Tablet oder Notebook. Auch wenn der Zug durch einen langen Tunnel fährt, reißt die Verbindung nicht ab. Die Passagiere von anderen Kontinenten haben mit ihren mitgebrachten Geräten ebenfalls Empfang. „Dass schneller Mobilfunk rund um den Erdball im Großen und Ganzen reibungslos funktioniert, ist angesichts des Entwicklungstempos dieser Technologie eigentlich sensationell“, sagt der Nachrichtentechniker Professor Armin Dekorsy von der Universität Bremen. „Die Innovationszyklen von einem kompletten Mobilfunksystem zum nächsten betragen gerade mal sieben bis acht Jahre. Für die Realisierung eines neuen Autos wird ähnlich viel Zeit benötigt, obwohl ein PKW-Hersteller ein neues Modell überwiegend individuell entwickeln kann.“ Mobilfunknetze, die weltumspannend funktionieren und dabei unterschiedlichste Geräte einbinden — es gibt die These, dass dies das komplizierteste ist, was der Mensch bislang jemals gebaut hat.

„Wir müssen unserer Zeit immer voraus sein.“ Professor Armin Dekorsy, Nachrichtentechniker

Und mittendrin statt nur dabei ist Armin Dekorsy selbst. Seit 2010 leitet er den Arbeitsbereich Nachrichtentechnik am Fachbereich Physik/Elektrotechnik der Universität — heute mit 26 Mitarbeitenden, die dort an den aktuellsten Entwicklungen in diesem Bereich arbeiten und sich durch ihre wissenschaftliche Arbeit weiterqualifizieren. Die Forschung aus der Hansestadt ist für die Industrie ein wichtiger Bestandteil von Neuentwicklungen. Dekorsy: „Das ist ja ein irrsinnig großer Markt. Ein Leben ohne Mobilfunk ist schon heute undenkbar, wenn man nur an das Smartphone, die Anbindung von Autos oder an die Vernetzung von Robotern in der Industrie denkt. Die Firmen drängen massiv auf Innovationen, schließlich gibt es hier viel Geld zu verdienen. Aber das, was morgen eingesetzt wird und dann problemlos funktionieren soll, wird heute erforscht — unter anderem auch von uns!“

Professor Armin Dekorsy leitet seit 2010 den Arbeitsbereich Nachrichtentechnik am Fachbereich Physik/Elektrotechnik der Universität, der aktuell 26 Mitarbeitenden hat.
© Andreas Caspari

Aus der Praxis in die Wissenschaft

Der Hochschullehrer weiß, worüber er spricht. Jahrelang hat er selbst in der Industrie gearbeitet und als Forschungsingenieur für die Deutsche Telekom Innovationsgesellschaft, Bell Labs (Lucent Technologies) und zuletzt als europäischer Forschungskoordinator für den Chiphersteller Qualcomm viele Grundlagen heutiger Mobilfunkstandards mitentwickelt. Seit er an der Universität Bremen ist, arbeitet er mit seinem stetig gewachsenen Team oft gemeinsam mit der Industrie an der Fortentwicklung des Mobilfunks.

Mindestens ebenso wichtig wie eine funktionierende Technik ist in diesem Bereich die Standardisierung. „Man kann die bahnbrechendsten Dinge erarbeiten — wenn sie heute nicht von allen wichtigen Beteiligten übernommen werden, landen sie auch nicht in der Praxis“, sagt Dekorsy. Schließlich muss sich eine neue Technologie weltweit durchsetzen, in Komponenten und Geräten verschiedenster Hersteller. Immer wieder gibt es dabei auch individuelle Interessen, warum eine Lösung favorisiert und eine andere — womöglich technisch bessere — verworfen wird. „Die Fragen der Standardisierung zu klären, sind sehr aufwändige, mühevolle und zähe Prozesse“, sagt Dekorsy. Seit 1998 gibt es dafür die Gremien des 3rd Generation Partnership Project (3GPP), einer weltweiten Kooperationsorganisation zur Standardisierung von Mobilfunksystemen. Dort sitzen die großen Firmen der Branche. Mit einigen wesentlichen Beteiligten kooperiert der Arbeitsbereich Nachrichtentechnik direkt. Armin Dekorsy: „Über diese Zusammenarbeit finden unsere Forschungsergebnisse zügig den Weg in die Industrie.“

Innovationsdruck auch auf die Wissenschaft

Als Dekorsy seine Tätigkeit an der Universität Bremen vor elf Jahren aufnahm, war gerade die 5G-Mobilfunkgeneration in der Entwicklung — eine Technologie, die bereits seit einiger Zeit auf dem Markt ist. Er und sein Team sind einerseits aktuell mit der Weiterentwicklung von 5G beschäftigt, etwa für spezielle Anwendungen in der Medizin oder Industrie. Andererseits arbeitet man bereits an 6G mit. „Wir müssen unserer Zeit immer voraus sein. Der Innovationsdruck hat auch Auswirkungen auf unsere wissenschaftlichen Veröffentlichungen: Wir müssen Forschungsergebnisse sehr schnell publizieren, auch um damit Impulse in die Wirtschaft setzen zu können.“

Deshalb pflegen die Bremer Expertinnen und Experten einen engen Austausch mit der Industrie. Zudem werden die Entwicklungen von staatlicher Seite stark unterstützt, weil die deutsche Wettbewerbsfähigkeit im globalen Konkurrenzkampf vorrangig über Neuerungen gesichert werden kann. Mehrere Millionen Euro Drittmittel haben Dekorsy und seine Leute zuletzt eingeworben, um in konkreten Projekten den Einsatz aktueller Mobilfunktechnologien in unterschiedlichen Bereichen umzusetzen. Einige Beispiele finden Sie auf den folgenden Seiten 20 und 21.

Eine Welt ohne mobile Kommunikation ist mittlerweile unvorstellbar. An vielen Entwicklungen der vergangenen Jahre waren Nachrichtentechniker der Universität Bremen beteiligt.
© ipopba / AdobeStock

Große Anerkennung für die Bremer Arbeitsbereiche

Ein extrem komplexes System von weltweiter Relevanz alle paar Jahre zumindest in Teilen immer wieder „neu zu erfinden“ und dabei Milliarden Endnutzer und Billionen Sensoren fehlerfrei zu vernetzen, ist laut Armin Dekorsy eine Herkulesaufgabe. Der Arbeitsbereich Nachrichtentechnik trägt seinen Teil dazu bei — und der ist durchaus bemerkenswert: „Wir haben schon Anwendungslösungen für Mobilfunktechnologien erdacht, die die Industrie 1:1 übernommen hat. Eine größere Anerkennung gibt es für uns nicht.“.

Moderne Mobilfunktechnologien für unterschiedliche Szenarien:

FunKI

Das Verbundprojekt „Funkkommunikation mit Künstlicher Intelligenz“ (FunKI) wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit mehr als 6,5 Millionen Euro gefördert. Koordiniert wird es von der Bremer Nachrichtentechnik. „Inhaltlich geht es um den Einsatz Künstlicher Intelligenz in den 5G- und 6G-Netzen der Zukunft“, erläutert Dr.-Ing. Dirk Wübben, Gruppenleiter des Arbeitsbereiches. Die Anzahl vernetzter Geräte steigt rasant; viele davon können nicht mit Kabeln an das Internet angebunden werden. Leistungsstark und effizient müssen moderne drahtlose Kommunikationssysteme deshalb sein. „Wir forschen unter anderem daran, den Energieverbrauch zu reduzieren und gleichzeitig – bei steigendem Datenvolumen – die Qualität zu verbessern.“

Im Verbundprojekt „Funkkommunikation mit Künstlicher Intelligenz“ (FunKI) geht es unter anderem darum, den Energieverbrauch zu reduzieren und gleichzeitig die Qualität zu verbessern.
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Daten aus dem Rettungswagen in die Klinik

MOMENTUM ist die Abkürzung für das BMBF-Projekt „Mobile Medizintechnik für die integrierte Notfallversorgung und Unfallmedizin“. Hier geht es um den Kontakt zwischen Rettungsmedizin und Notfallzentrale, der oft nur telefonisch verläuft. Doch bei Schwerverletzten zählt jede Sekunde. Das Projekt erforscht neue Möglichkeiten, um Funktechnologien für eine unterbrechungsfreie Versorgungskette vom Einsatzort bis zum Klinikum zu entwickeln. „Ziel ist es, dass schon im Fahrzeug wichtige Untersuchungen gemacht werden, der oder die Verletzte geröntgt und grundlegende Patientendaten direkt in den OP gefunkt werden“, erläutert Gruppenleiter Dr.-Ing. Carsten Bockelmann. Per „Videoschalte“ sollen sowohl die Notfallmediziner als auch die Ärztinnen und Ärzte im OP miteinander sprechen können und aus dem Rettungswagen zum Beispiel schon ein aktuelles Röntgenbild zur Diagnose bereitgestellt werden. Dafür nötig sind Konzepte und Technologien für eine Vernetzung auf sehr vielen Ebenen, um beispielsweise den Datenstrom aus einem Rettungswagen zuverlässig und unterbrechungsfrei zu gewährleisten.

Bessere Kommunikation beim Notfalleinsatz: Dazu muss beispielsweise der Datenstrom zwischen Rettungswagen und Krankenhaus zuverlässig und unterbrechungsfrei funktionieren.
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5GSatOpt

5GSatOpt („Design, Evaluation and Optimization of 5G Satellite Constellations for the Internet of Everything and Everywhere”) ist ein Verbundprojekt von Wissenschaft und Wirtschaft, das vom Land Bremen mit Mitteln aus einem EU-Programm gefördert wurde. Hier ging es um die 5G-Mobilfunkversorgung durch ein Netzwerk aus Kleinsatelliten. „In Deutschland werden bis Ende 2022 nur 80 Prozent der Fläche mit 5G versorgt sein. Viele ländliche Regionen bleiben abgehängt. Für Anwendungen wie die ‚digitale Landwirtschaft‘ ist eine lückenlose Versorgung aber unabdingbar. Die wollen wir durch Kleinsatellitenkonstellationen im Weltraum sicherstellen“, so Dekorsy.

„Industrial Radio Lab Germany“ (IRLG)

Beim mehrjährigen BMBF-Millionenprojekt „Industrial Radio Lab Germany“ (IRLG) unterstützt die AG klein- und mittelständische Betriebe mit Forschungsergebnissen sowie Labortechnik bei der Weiterentwicklung und Erprobung von 5G. Konkret geht es darum, das „Internet der Dinge“ für die deutsche Industrie zu nutzen. „Geräte und Komponenten werden künftig in der Produktion immer stärker miteinander vernetzt. Dadurch sind völlig neue Herstellungsabläufe möglich. Hochmoderne Funktechnologien sind dabei das Nonplusultra“, erläutert Frank Bittner, Forschungsmanager des Arbeitsbereichs. Wie kann man diese Technologien in den Betrieben nutzen? „Die kleinen und mittelgroßen deutschen Unternehmen sollen von unseren Lösungsansätzen profitieren, um ihre Innovationen schneller auf den Markt bringen zu können.“

Die kleinen und mittelgroßen deutschen Unternehmen sollen von den Bremer Lösungsansätzen profitieren, um ihre Innovationen schneller auf den Markt bringen zu können.
© Monopoly919 / AdobeStock

Open6GHub

Open6GHub ist Teil eines weiteren millionenschweren Forschungsprogramms des Bundes für Entwicklung der kommenden Mobilfunkgeneration 6G. „Inhaltlich haben wir hier das Arbeitspaket ‚Beyond Cellular‘ übernommen, also die Abkehr vom bisherigen terrestrischen Mobilfunknetz mit Funkzellen hin zu einem dreidimensionalen Mobilfunknetz. Die Verbindungen werden künftig nicht nur durch Masten am Erdboden, sondern auch durch Drohnen, Ballons, Flugzeuge und vor allem Satelliten hergestellt“, erläutert Dekorsy. Zum Testen der neuen 6G-Technologien wird ein Experimentierfeld an der Universität Bremen aufgebaut, für das auch ein operationeller 6G-Kleinsatellit entwickelt wird.

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