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Wie wir selbst zu Spiderman werden können

Könnten wir „normalen“ Menschen in der Zukunft auch an Wänden und Decken laufen?

Forschung

Jeder Mensch hat sich vermutlich einmal in seinem Leben vorgestellt, wie das Leben als Superheld:in mit besonderen Fähigkeiten sein könnte. Natürlich ist allen bewusst, dass die meisten Fähigkeiten, die Superheld:innen zu Superheld:innen machen, übernatürlich und (leider) vollkommen der Fantasie von Autorinnen und Autoren sowie Filmemachenden entspringen.

Die meisten Fähigkeiten? Einer der bekanntesten Figuren ist wohl Spiderman („Die Spinne“), der in Comics und Filmen in altbekannter Manier an vermeintlich glatten Wänden entlangklettert. Bei einem Blick ins Tierreich stellt man schnell fest, dass nicht nur die Spinne, sondern eine Vielzahl an Tieren sich à la Spiderman an Fassaden und Decken fortbewegen.

Die Superheldenfähigkeiten des Spiderman sind also weniger übernatürlich als gedacht und es könnte sich die Frage aufdrängen: Könnten wir „normalen“ Menschen in der Zukunft auch an Wänden und Decken laufen? Und wenn nicht, wie müsste ein Spiderman-Anzug aussehen, damit die Fiktion nicht länger Fiktion bleibt? Die Antworten erhalten wir von Käfern, Spinnen, Geckos und Co.

Wieso können Geckos eigentlich an den Wänden laufen? Verstehen wir zunächst den Mechanismus, der es Geckos, Spinnen und Käfern erlaubt, sich entgegen ihres eigenen Körpergewichtes an Wänden zu bewegen. Diese Art der Fortbewegung wird durch die vergleichsweise große Kontaktfläche zwischen den Füßen der Tiere und der Wand ermöglicht. Wie in Abbildung 1 für einige Insekten zu sehen ist, werden unter dem Mikroskop sogenannte Setae (lat. Borsten) an den Füßen der Tiere sichtbar, die sich in mehrere noch kleinere Härchen – sogenannte Spatulae – aufteilen. Je größer das Tier, desto kleiner sind die Spatulae und desto mehr Kontaktfläche zwischen Tier und Wand wird geschaffen. Die Haftkraft oder auch Adhäsion, die den Insekten aber auch einem Gecko beispielsweise das Krabbeln an der Wand möglich macht, wird durch die Interaktion zwischen seinen Füßen und der Kontaktoberfläche hervorgerufen.

Abbildung 1: Vergleich der Setae und Spatulae verschiedener Insekten.
© David Labonte, Department of Bioengineering, Imperial College London, UK

Um dies zu verstehen, brauchen wir noch eine Vorstellung davon, aus was ein Geckofuß und die Wand bestehen. Stellen wir uns vor, dass wir mit einer Lupe den Geckofuß und die Wand vielfach vergrößern. Bei einer ausreichenden Vergrößerung können wir die Atome erkennen, aus denen Fuß und Wand bestehen. Ein Atom ist eine Art Baustein der Materie und in unserer Vorstellung eine sehr kleine Kugel mit einer Ansammlung von noch viel kleinerer Kugeln im Kern und willkürlich umherfliegenden, ebenfalls noch kleineren Kugeln im Rest des Atoms. Die bewegten Kugeln sind elektrisch negativ geladen und heißen Elektronen. Abbildung 2 visualisiert unsere Modellvorstellung.

Für den Gecko essentiell, damit er an Wänden laufen kann: Ausbildung der Van-der-Waals-Kräfte (eigene Darstellung in Anlehnung an https://tinyurl.com/vz27td78
© Universität Duisburg Essen

Die Abbildung erläutert: Zwei eng beieinanderliegende Atome (1) – sagen wir eins aus dem Geckofuß und eins aus der Wand – beeinflussen sich wie zwei Magnete. Für einen kurzen Moment befinden sich zum Beispiel in einem Atom mehr Elektronen auf der einen als auf der anderen Seite. Jene Seite mit mehr Elektronen ist für einen kurzen Zeitpunkt negativ geladen und sorgt dafür, dass die Elektronen des anderen Atoms sich soweit wie möglich von dem temporären negativen Pol entfernen (2). Dies geschieht gemäß dem Grundsatz, dass gleiche Pole bzw. Ladungen sich abstoßen.

Da die Seite des Atoms mit weniger Elektronen folglich positiv geladener als ihr Gegenstück erscheint, sind sowohl eine negativ und eine positiv geladene Atomseite benachbart. Die Atome ziehen sich als Konsequenz wie ein Nord- und Südpol zweier Magneten an (3). Diese Anziehungskraft entsteht überall dort, wo der Geckofuß der Wand sehr nahekommt.

Mit Abbildung 1 können wir nun die Anatomie der Setae (Borsten) und Spatulae (Härchen) in einem Zusammenhang mit der Tiergröße bringen. Eine größere Anzahl an Spatalue erhöht die Kontaktfläche mit dem Untergrund, wodurch mehr Wechselwirkungen zwischen Geckofuß und Wand hervorgerufen werden. Im Allgemeinen entsteht eine höhere Haftkraft, die der Gecko braucht, um seinem eigenen Gewicht zu trotzen. Die Haftkraft, die durch die Atomwechselwirkungen entsteht, ist die Summe der vielen Anziehungen zwischen einem Atom des Geckofußes und der Wand, welche auch Van-der-Waals-Kräfte heißen.

Doch warum wird uns die Evolution auf kurze Sicht enttäuschen?

Wir kennen nun den physikalischen Grund, wieso sich kleine Reptilien, Amphibien und Insekten scheinbar ungehindert ihres eigenen Gewichtes an Wänden bewegen können. Wieso hat Mutter Natur uns Menschen nun nicht mit eben jenen Strukturen aus Abbildung 1 an den Füßen ausgestattet?

Je größer das Lebewesen wird, desto höher ist der Anteil der benötigten Kontaktfläche zur Wand.

Das Problem besteht darin, dass immer weniger Körperoberfläche im Verhältnis zum Körpervolumen zur Verfügung steht, je größer der Körper wird. Wie beschrieben, ist jedoch Oberfläche bzw. Kontaktfläche zwischen Körper und Wand essentiell für die Ausbildung der Haftkräfte. Immer mehr Oberfläche ist nötig, je größer und schwerer der Körper ist. Geckos benötigen bereits vergleichsweise 200 % mehr von ihrer Körperoberfläche zum Haften an einer Wand als Milben. Abbildung 3 vergleicht verschiedene Tiergrößen und den prozentualen Oberflächenanteil ihres Körpers, der mit Haftstrukturen ausgestattet ist.

Je größer das Lebewesen wird, desto höher ist der Anteil der benötigten Kontaktfläche zur Wand.
© David Labonte, Department of Bioengineering, Imperial College London, UK

Überträgt man diesen Gedanken auf einen Menschen, so kommen irrsinnige Zahlen zustande. Damit ein 1,80 m großer und 80 kg schwerer Mensch an der Wand laufen könnte, müssten sich 40 % bzw. 0,8 m² der Haut an den Fußsohlen befinden (siehe Wikipedia). Dies entspräche Schuhgröße 145 (siehe scinexx.de). Zum Vergleich: Der größte Mensch der Geschichte (2,72 m) hatte eine EU-Schuhgröße von 76, was in etwa die Länge eines Unterarmes inklusive ausgetreckter Hand ist. Mit dieser Schuhgröße hält er bis dato den Eintrag im Guinness-Buch der Rekorde.

Die nötigen anatomischen Veränderungen am menschlichen Körper wären mittelfristig zu gravierend und die Evolution solch riesiger Füße inklusive Haftstrukturen wäre doch eher hinderlich als praktisch für den Alltag. Kann man sich anders Abhilfe beschaffen?

Die Antwort der Wissenschaft

Forscher haben eine Idee entwickelt, die Haftstrukturen an den Füßen von Geckos am Menschen künstlich „nachzurüsten“. Die bionischen Kletterhilfen müssen den Setae und Spatulae aus dem Tierreich (Abbildung 1) nicht nur ähneln, um die erforderliche Kontaktoberfläche zum Untergrund zu schaffen, sondern müssen ebenfalls eine Reihe weiterer Anforderungen erfüllen. Zum einen müssen sie schmutz- und wasserabweisend sein, damit die Haftung an der Wand garantiert bleibt. Weiterhin müssen die Kletterhilfen aus einem ausreichend flexiblen Material gefertigt sein, welches sich den Unebenheiten und der Rauheit von Oberflächen anpasst (siehe Pugno, N. M. (2008), Spiderman gloves, Nano Today, Volume 3, Seiten 35-41).

Gleichzeitig muss das Material eine hohe Festigkeit aufweisen, um den Belastungen standzuhalten. Und ganz wichtig: Die Kletterhilfen sollten sich leicht vom Untergrund lösen lassen. Trotzdem muss jedoch bei kleinen Verschiebungen eine Haftung bestehen bleiben, sodass eine Ablösung im falschen Moment verhindert wird.

Kohlenstoff-Nanoröhrchen vereinen die beschriebenen Eigenschaften und eignen sich in der Theorie, um die Setae und Spatulae (Abbildung 1) aus dem Tierreich zu ersetzen. Wie der Name bereits aussagt, bestehen Kohlenstoff-Nanoröhrchen aus Kohlenstoff und bilden wenige Nanometer dicke Röhrchen. Im Vergleich besitzen sie eine 100-mal höhere Festigkeit als Stahl bei gerade einmal 1/6 des Gewichtes (siehe fuelcellstore.com).

Es wird aber auch an eher säulenförmigen Strukturen aus Silikonelastomeren geforscht, die in Abbildung 4 zu sehen sind. Die Abbildung zeigt eine mikrostrukturierte Haftoberfläche, die ein reversibles, rückstandsfreies Greifen von Objekten erlaubt. Die Strukturierung ermöglicht die effiziente Nutzung der van der Waals-Wechselwirkung für die reversible/schaltbare Haftung.

Einem knapp 100 kg schweren Mann gelang es, mit Hilfe von Nano-Kletterhilfen an den Händen eine acht Meter hohe glatte Glasfassade emporzuklettern.

Die Mikrostrukturen aus Silikonelastomeren ahmen die feinverzweigte Mikrostruktur des Geckofußes nach.
© René Hensel, INM – Leibniz-Institut für Neue Materialien

Ob es zukünftig eine Art kommerziellen Spiderman-Anzug geben wird, bleibt abzuwarten. Dass der Ansatz grundlegend erfolgversprechend ist, zeigten Forscher des US-Verteidigungsministerium. So gelang es einem knapp 100 kg schweren Mann, mit Hilfe von Nano-Kletterhilfen an den Händen eine acht Meter hohe glatte Glasfassade emporzuklettern (siehe scinexx.de).

Ebenfalls bleibt abzuwarten, welchen praktischen Nutzen bionische Kletterhilfen haben können. Vielleicht beobachten wir in nicht allzu ferner Zukunft Fensterputzer, die sich auch als Hobbyschurkenjäger versuchen.

Interesse am Thema geweckt?

Detaillierte Inhalte zum Thema Adhäsion werden an der Universität Bremen im Bereich Mechanische Verfahrenstechnik u.a. in den Vorlesungen Aerosol- und Nanotechnologie sowie Partikeltechnologie gelehrt. Dort geht es dann aber nicht um den Spiderman-Anzug der Zukunft sondern um Aerosole, Nanopartikel, andere Partikelsysteme und technische Prozesse, in denen diese vorkommen.

Der Artikel stammt aus dem MINT Science Blog

Der MINT Science Blog der Universität Bremen erklärt einem breiten Publikum anspruchsvolle Forschungsthemen. Studierende und Nachwuchsforschende wollen dort komplexe Sachverhalte allgemeinverständlich darstellen. Anfang 2021 war das Redaktionsteam in der MINTchallenge erfolgreich. In dem Wettbewerb des Stifterverbands für die Deutsche Wissenschaft überzeugte es die Jury mit seinem Blog und belegte den 3. Platz. Mehr zur MINTChallenge

Dieser Artikel ist das Ergebnis einer Studienleistung im Modul Forschungsprozesse (Masterstudiengang Prozessorientierte Materialforschung), hier beschäftigen sich die Studierenden unter anderem mit Wissenschaftskommunikation.

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