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„Wissenschaft wird für Bremen viel wichtiger werden“

Wie sieht Rektor Professor Bernd Scholz-Reiter die Universität Bremen? Und wie will Frauke Meyer sie als neue Kanzlerin gestalten?

Uni & Gesellschaft

50 Jahre Universität Bremen – das ist ein Anlass, um mit dem Rektor und der neuen Kanzlerin über das Jetzt und die Zukunft dieser Wissenschaftseinrichtung zu reden. Im Doppel-Interview sprechen Professor Bernd Scholz-Reiter und Frauke Meyer über ihre persönliche Sicht auf die Universität, den Standort Bremen und wie sie sich ihre Universität in der Zukunft vorstellen. Das Gespräch fand in der Mensa statt.

Herr Scholz-Reiter, die Universität ist nun 50 Jahre alt. Gut zehn Jahre davon haben Sie als Rektor mitgestaltet. Wo steht die Uni heute, was macht sie aus?

Bernd Scholz-Reiter: Die Universität ist ein Kind ihrer Geschichte. Es macht uns sicherlich aus, dass wir kooperativ sind und gemeinsam Sachen vorantreiben – häufig mit einem Pioniergeist. Vielleicht liegt das an dem Reformgedanken der 1970er Jahre, als die Universität gegründet wurde.


Woran zeigt sich das?


Bernd Scholz-Reiter: Zum Beispiel daran, dass wir neue Personalstrukturen entwickeln. Ich erinnere an die Senior Lecture- und Senior Researcher-Stellen im akademischen Mittelbau, die früh in der akademischen Karriere eine unbefristete Stelle bedeuten. Das machen jetzt andere Bundesländer nach. Unsere Mitarbeitenden sind teilweise beratend für andere Bundesländer und Universitäten tätig, weil diese aus unseren Erfahrungen lernen wollen. Ein anderes Beispiel ist die frühe Initiative der Universität im Rahmen der europäischen Hochschulallianzen. Wir haben bereits an der Pilotausschreibung der EU teilgenommen und waren unter den ersten Universitäten im Jahr 2019 erfolgreich. Jetzt können wir auf fast zwei Jahre Arbeit im Rahmen der Young Universities for the Future of Europe-Allianz (YUFE) zurückblicken, in der wir gemeinsam mit neun europäischen Hochschulen und vier außeruniversitären Einrichtungen eine der ersten Europäischen Universitäten gestalten. Unsere Internationalisierung hat also in den vergangenen Jahren ziemlich viel Schwung aufgenommen. Wir haben unseren Fokus klar in diese Richtung gesetzt.

Rektor Bernd Scholz-Reiter leitet die Universität seit 2012.
© Philipp Batelka

Weshalb?


Bernd Scholz-Reiter: Zunächst wegen der internationalen Sichtbarkeit und der Internationalisierung der Wissenschaft in allen Fachdisziplinen. Früher war das ja eher auf die Naturwissenschaften und die Medizin beschränkt. Aber beispielsweise auch in den Geisteswissenschaften hat die Internationalisierung stark zugenommen. Der zweite Grund ist, dass wir international aus einem viel größeren Pool an guten Studierenden, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern schöpfen können. Das kann nur bereichernd sein, weil die Expertise natürlich global größer ist als national. Ein weiterer Grund ist die demographische Entwicklung. Die Zahl der potentiellen Studierenden geht bekanntlich zurück in Deutschland. Wenn wir aber die gleiche Anzahl an Absolventinnen und Absolventen benötigen, um unser Gesellschaftssystem vernünftig zu gestalten, brauchen wir auch mehr internationale Studierende an deutschen Universitäten, die dann nach dem Studium in Deutschland und Europa bleiben. Bei der europäischen Universitätsallianz YUFE spielt noch ein anderer Aspekt eine Rolle: Wir sehen, dass in Europa bestimmte nationalistische Interessen in bestimmten Bevölkerungsgruppen wieder in den Vordergrund rücken, die nicht unsere Interessen sind. Ich denke hier insbesondere an rechtsnationalistische und demokratiefeindliche Tendenzen. Und deswegen ist es gut, wenn unsere Universität sich als Europäische Universität aufstellt, um unter den Studierenden durch ein gemeinsames Studium das Bewusstsein für eine europäische Identität zu stärken. Das stärkt Europa und den europäischen Gedanken.

Frau Meyer, Sie sind seit Januar 2021 Kanzlerin der Universität. Wie wollen Sie sie in den nächsten Jahren gestalten?

Frauke Meyer: Wir habe einige große Aufgaben vor uns. Das eine ist die Internationalisierung. Die weitaus größte Aufgabe im Moment ist aber die Digitalisierung: Hier geht es um Veränderungen von Prozessen, Strukturen und wie wir zusammenarbeiten. Das alles müssen wir sehr intensiv mit Personalentwicklung und Organisationsentwicklungsmaßnahmen begleiten.

Frauke Meyer ist seit Januar 2021 Kanzlerin der Universität Bremen.
© Philipp Batelka

Was ist Ihnen hier besonders wichtig?


Frauke Meyer: Dass wir unsere „Universität-Bremen-Identität“ spüren. Wir wissen, dass wir finanziell nicht üppig ausgestattet sind vom Land. Aber wir haben einen bestimmten Spirit. Der bleibt jedoch nicht von alleine. Der muss gelebt und gedacht werden. Er ist wichtig für uns als Ressource. Alle unsere Mitarbeitenden und Studierenden sollten das Gefühl haben: Das ist unsere Universität, hier wollen wir mitgestalten. Nur dadurch können wir trotz unserer begrenzten Mittel so erfolgreich sein. Dieses Bewusstsein, dass wir richtig gut sind, weil wir das gemeinsam machen mit diesem besonderen Bremer Schwung, müssen wir aufrechterhalten.

Wie kann man dies bei der Gestaltung von Prozessen berücksichtigen? 


Frauke Meyer: Dass wir nicht zu stark bürokratisieren, sondern genau hinschauen, wie wir in einen Flow kommen, der uns allen das Leben leichter macht. Eine große Herausforderung wird dabei sein, unser Personal zu halten, weiterzuentwickeln und neues zu gewinnen. Wir wissen ja, dass wir Fachkräftemangel haben. Und hier müssen wir in die Waagschale werfen, was wir als Universität Bremen zu bieten haben.

Was wäre das aus Ihrer Sicht?


Frauke Meyer: Ich denke, was uns alle motiviert, ist unsere besondere Zusammenarbeit. Und die kann ich als Kanzlerin gestalten. Die Frage ist: Wie arbeiten wir gemeinsam? Vertrauensvoll, kooperativ und miteinander. Wir können es uns nicht leisten, streng auf hierarchische Prozesse zu setzen. Das gelingt nicht und macht auch keinen Spaß. Und es ist gerade auch die Freude, die wir an der Arbeit brauchen. Das ist natürlich manchmal schwer im Alltag zu leben. Wir spüren das jetzt während der Pandemie. Viele sind erschöpft und unsere personellen Ressourcen begrenzt. Im ersten Teil meiner Kanzlerinnenschaft sehe ich es als eine wichtige Aufgabe, uns gut durch die Pandemie zu bringen und danach mit frischer Energie weiterzumachen. Das wird eine Kunst sein und daran arbeiten wir jetzt alle.

Internationalisierung und Digitalisierung bringen Veränderungen mit sich. Davor haben manche auch Angst.

Frauke Meyer: Ich möchte gerne das Wort „Angst“ im Zusammenhang mit Arbeit vermeiden. Ich finde es unpassend, das ist nicht meins. Ich glaube vielmehr, dass wir hier weniger problemzentriert handeln und mehr die Chancen und Gestaltungsmöglichkeiten sehen sollten, die wir haben. Das ist aus meiner Arbeitserfahrung das Tolle an der Uni Bremen. Wir haben eigentlich auf allen Arbeitsplätzen die Möglichkeit sehr viel selbst zu gestalten. Diese Spielräume zu erkennen, verantwortlich zu nutzen und auf die Ziele, die die Uni verfolgt, auszurichten, finde ich wichtig. Das gilt auch für die Internationalisierung. Manche fragen sich, wie schnell wir an allen Arbeitsplätzen fit in verschiedenen Fremdsprachen sein müssen. Ich glaube, dass wir da durchaus Vertrauen haben sollten, hier langsam reinzuwachsen. Beispiel YUFE: Wir werden ja nicht von jetzt auf gleich 5.000 YUFE-Studierende hier haben und 5.000 Studierende von uns an die anderen neun YUFE-Standorte schicken. Und jeder von uns muss sich nicht in neun verschiedenen Sprachen ausdrücken müssen.

„Selbstbewusstsein und Vertrauen in uns sind das, was wir haben müssen und auch haben können. Weil wir in vielen Bereichen gut sind.“ Kanzlerin Frauke Meyer

Ich glaube vielmehr, dass wir da schrittweise gut reinkommen werden. Zumal viele Uni-Mitarbeitende hier schon sehr gut aufgestellt sind. Selbstbewusstsein und Vertrauen in uns sind das, was wir haben müssen und auch haben können. Weil wir in vielen Bereichen einfach gut sind. Zudem möchte ich explizit unterstützen, was der Rektor gesagt hat: Ich finde den europäischen Gedanken sehr wichtig. Er betrifft uns alle. Wir sollten europäisch denken, europäische Werte hochhalten und das Gemeinsame leben.

Was schätzen Sie beide besonders an Bremen?

Bernd Scholz-Reiter: Was wir immer wieder von außen gespiegelt bekommen ist, dass wir gut miteinander arbeiten. Damit meine ich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der unterschiedlichen Institutionen – und zwar auch über deren Grenzen hinweg. Ein Beispiel ist die U Bremen Research Alliance. Das Netzwerk der Universität und den im Land Bremen ansässigen zwölf außeruniversitären Forschungseinrichtungen, die von Bund und Land gemeinsam gefördert werden, hat sich ja seit seiner Institutionalisierung 2016 so entwickelt, dass wir jetzt nicht nur gemeinsam Ressourcen nutzen können. Wir bringen auch gemeinsam Themen voran. So bespielen und entwickeln wir die Wissenschaftsschwerpunkte und die Innovations- und Technologieschwerpunkte des Landes Bremen weiter. Ein Erfolg ist zum Beispiel die Nationale Forschungsdateninfrastruktur (NFDI) der DFG (Deutsche Forschungsgemeinschaft). Kein Bundesland ist hier so gut aufgestellt wie Bremen. Und da steht im Wesentlichen die U Bremen Research Alliance besonders im Zentrum.

Frauke Meyer: Die Vorteile in Bremen sind natürlich, dass wir sehr kurze Wege haben zu allen Institutionen, mit denen wir zusammenarbeiten – ob in der Wissenschaft oder Politik. Was ich auch immer positiv erlebe, ist die Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger. Wenn ich irgendwo bin und sage, dass ich als Vertreterin der Universität da bin, können eigentlich alle was damit anfangen. Viele haben hier studiert oder kennen Menschen, die an der Uni studieren beziehungsweise arbeiten. Ich merke, dass es da eine große Unterstützung gibt. Wir haben das besonders wieder im vergangenen Frühjahr erfahren, als wir uns für die Ausfinanzierung des Wissenschaftsplans eingesetzt haben. Ich fand es sehr beeindruckend, aus wie vielen unterschiedlichen Bereichen wir hier Unterstützung erfahren haben.

Abschließend eine Frage, die sich in die Zukunft richtet: Wie stellen Sie sich die Universität Bremen in 50 Jahren vor?


Bernd Scholz-Reiter: Das hängt natürlich immer vom gesamten Umfeld ab. Wie entwickelt sich unsere Gesellschaft? In welcher Situation befinden sich unser Staatssystem, Europa und die Welt? Aber wenn wir die vergangenen 50 Jahre nehmen, die ja bei einer prosperierenden Staats- und Gesellschaftsstruktur friedfertig in Deutschland waren, und das nach vorne projizieren, würde ich sagen, wird die Universität Bremen in 50 Jahren noch einmal besser aufgestellt sein als heute. Wir werden dann im Wesentlichen eine internationale Forschungsuniversität sein, die an vielen wichtigen gesellschaftlichen Themen arbeitet, die wir heute schon im Blick haben. Und wir werden dann hoffentlich schon einige Probleme gelöst haben – zum Beispiel in Bezug auf die Klimaerwärmung. Das müssen wir bis dahin im Griff haben. Unsere Universität ist in der Klima- und Umweltforschung sehr gut aufgestellt. Hier werden wir mit unseren regionalen und internationalen Partnern in den nächsten Jahren sicherlich wichtige Bausteine zur Bewältigung dieser Krise beisteuern. Wir werden dann aber wahrscheinlich auch große neue Forschungsfragen haben, die sich heute schon andeuten. Wenn ich zum Beispiel an die Weltraumexploration denke: Hier ist anzunehmen, dass sich die ersten Menschen bereits etwas länger auf dem Planeten Mars aufhalten werden können. Da werden sich neue Fragen ergeben und damit neue große wissenschaftliche Herausforderungen und Chancen. Zudem werden Migrationsfragen und Verschiebungen von Machtverhältnissen noch einmal eine andere Rolle spielen. Sprich: Wie gestaltet sich der gesellschaftliche Zusammenhalt in 50 Jahren?

Das heißt, dass dies in der Wissenschaft auch in 50 Jahren noch eine wichtige Rolle spielen wird an der Universität Bremen. 


Bernd Scholz-Reiter: Genau. Zudem sollte in 50 Jahren auch unsere Vision einer Europäischen Universität mehr Realität sein. Denn das ist ein Dekadenprozess. Frauke Meyer hat es ja bereits gesagt: Da werden wir uns langsam hin entwickeln.

„In 50 Jahren sollten wir eine gemeinsame YUFE Universität mit unseren Partnern in Europa sein.“ Rektor Professor Bernd Scholz-Reiter

Ein oder zwei Generationen wird das dauern. Aber in 50 Jahren sollten wir diese Vision umgesetzt haben und eine gemeinsame YUFE Universität mit unseren Partnern in Europa sein.

Eine spannende Vorstellung. Was denken Sie, Frau Meyer?


Frauke Meyer: Ich glaube, dass die Arbeit der Uni Bremen sich in 50 Jahren verändert haben wird. Vorausgesetzt unsere Welt bleibt friedlich. Dann werden wir international und national ganz anders zusammenarbeiten. Weniger räumlich, viel flexibler und agiler. Ich glaube aber, dass unsere Universität in 50 Jahren für Bremen noch wichtiger sein wird als jetzt. Dass Wissenschaft für Bremen wichtiger wird. So, wie wir uns im Moment entwickeln, wird man mit dem Namen Bremen sofort Universität, Wissenschaft und Internationalität verbinden. Ich glaube, dass wir auch eine andere Form des Studierens haben werden. Dass man vielleicht öfter an die Universität zurückkehrt in Bezug auf lebenslanges Lernen. Ich glaube deshalb, dass wir dann eine andere Struktur im Angebot haben müssen. Und ich bin ganz sicher, dass in 50 Jahren die Universität Bremen immer noch einer der tollsten Arbeitsorte in Bremen ist.

Warum?


Bernd Scholz-Reiter: Weil es einfach interessant ist, was es hier an thematischer Vielfalt gibt, welche unterschiedlichen Menschen sich hier treffen und miteinander arbeiten. Da bin ich ganz sicher. Aber ich glaube, es wird Veränderungen geben, die wir uns jetzt noch gar nicht vorstellen können.

Meinen Sie die Digitalisierung?


Bernd Scholz-Reiter: Zum Teil. Ich glaube vielmehr, dass in 50 Jahren weitere Teile von Bremen mit dem Logo der Universität beflaggt sind und wir mehr in der Stadt verortet sein werden.

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