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Bremen: Wissenschaft seit 1610

2021 feiert die Universität Bremen ihr 50-jähriges Bestehen. Damit zählt die Bremer Hochschule zu den jüngeren Universitäten in Deutschland. Tatsächlich aber hat die Hansestadt eine lange akademische Tradition. up2date hat sich auf Spurensuche gemacht.

Uni & Gesellschaft

Mitten in der City im Katharinen-Klosterhof: Am Rande der Einkaufs-Passage, eingerahmt von den Pfeilern des Parkhauses, steht ein ockerfarbenes Steingebäude mit Spitzbogenfenstern. Es handelt sich um die Überreste der ersten Hochschule Bremens. Dort, wo bis vor kurzem der „Stadtwirt“ Schnitzel und Flammkuchen serviert hat, wurde in der Frühen Neuzeit Wissensdurst gestillt und der Grundstein für Bremens Wissenschaft gelegt.

„Eine wirkliche Universität gab es in Bremen vor 1971 nicht“, sagt Historikerin Dr. Maria Hermes-Wladarsch, Leiterin der Abteilung Historische Sammlungen, Handschriften & Rara der Staats- und Universitätsbibliothek Bremen (SuUB) gleich zu Beginn unseres Gesprächs. Aber es habe immer wieder Ansätze einer Universität oder einer universitätsnahen Institution gegeben. „Zunächst hat der Rat der Stadt im Jahr 1528 eine Lateinschule gegründet. Dies war eine Folge der Reformation in Bremen.“ Wie an vielen Orten des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation wandten sich die Menschen im 16. Jahrhundert vom Katholizismus ab und nahmen die Lehren des Reformators Martin Luthers an. Der Konfessionswechsel einer Stadt führte zwangsläufig zu Umbrüchen im Bildungswesen. Denn: Nach den Lehren Luthers sollte nicht die Kirche, sondern der Staat für Erziehung und Bildung verantwortlich sein. „Als Standort der neuen ,Schola Bremensis‘ wurde das vormalige Katharinenkloster der Dominikaner bestimmt.“

Die Überreste des Katharinenklosters heute.
Bildnachweis: Sarah Batelka / Universität Bremen

Die bremische Hochschule war bei Studenten sehr beliebt

„Zu einer Hochschule mit akademischem Niveau wandelte sich die Lateinschule 1610“, hebt die Historikerin hervor. Es wurde unterschieden zwischen der Grundschule – dem Paedagogium – und der Hochschule – dem Gymnasium Illustre. Das Gymnasium erhielt die in der Frühen Neuzeit für eine Universität typischen vier Fakultäten: Theologie, Jurisprudenz, Medizin sowie Philosophie und Philologie. Hier wurden vorwiegend vor einem calvinistischen Hintergrund die zukünftigen Amtsträger für das Gemeinwesen herangebildet, etwa Rechtsanwälte, Ärzte und Ratsherren. „Der augenfälligste Unterschied zu einer Universität bestand darin, dass das Gymnasium Illustre keine akademischen Titel vergeben konnte. Dieses Privileg konnte lediglich der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation vergeben.“

Die bremische Hochschule war sehr beliebt und florierte im 17. Jahrhundert, wie Hermes-Wladarsch beschreibt. Zugute kam der Schule ein erneuter städtischer Konfessionswechsel: „Nachdem sich Bremen im 16. Jahrhundert vom Luthertum abgekehrt und den Calvinismus angenommen hatte, war die Stadt im lutherischen Umland isoliert und lediglich eine von wenigen calvinistischen Hochschulen in Deutschland, jedoch Teil eines europaweiten calvinistischen Bildungssystems.“

Das ehemalige lutherische Athenäum im Kapitelhaus des Doms, um 1850
Bildnachweis: Festschrift zur Vierhundertjahrfeier des Alten Gymnasiums zu Bremen, 1528 - 1928, Bremen 1928, Tafel VII

Studenten kamen aus Bremen, dem Reich und dem Ausland

Die Schüler kamen nicht nur aus der Stadt und dem Reich, sondern auch aus dem Ausland – speziell den Niederlanden. Ein typischer Student im 17. Jahrhundert ist Peter Baumann. Seine Studienzeit lässt sich anhand seines Album Amicorum nachvollziehen – eine Art Poesiealbum –, in das Professoren, Mitstudenten und Freunde Texte schrieben. Geboren in der Grafschaft Moers am Niederrhein, studierte er bis 1644 zunächst in Bremen Theologie und Hebraistik. Anschließend wechselte er an die Universität Groningen. Als Predigeranwärter kehrte Baumann im Herbst 1648 in seine Heimat zurück, vermutlich mit der Absicht, dort in einer der vielen Kirchengemeinden als Prediger zu arbeiten.

Ab 1700 konnte das Gymnasium Illustre immer weniger Studenten anziehen. „Eine konfessionell orientierte Ausbildung verlor im Zeichen der Aufklärung zunehmend an Anziehungskraft“, so die Historikerin. 1810, in der Zeit der französischen Besatzung Bremens, wurde das Gymnasium Illustre aufgelöst.

Vom Klosterhof geht es durch die Katharinen-Passage über den Domshof Richtung Dom. Hier, im Kapitelhaus südlich des Doms befand sich das lutherische Pendant zur calvinistischen Schule: Die lutherische Domschule.

„Der Unterricht im Gymnasium Illustre war calvinistisch ausgerichtet“, erläutert Hermes-Wladarsch. Der evangelisch-lutherische Erzbischof von Bremen gründete daher gemeinsam mit dem Domkapitel gegen den Willen des Rates 1642 eine eigene Schule. 1681 wurde der Schule mit dem Athenäum ebenfalls eine akademische, weiterführende Oberstufe angegliedert. Den Rang und die Bedeutung des Gymnasium Illustre konnte sie jedoch nicht erreichen.

Vom Domshof geht es zurück am Klosterhof vorbei und in die Knochenhauerstraße, wo im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit die Schlachter lebten und arbeiteten. Von dort führt der Straßenverlauf in den Spitzenkiel.

Das Kapitelhaus des Doms heute.
Bildnachweis: Sarah Batelka / Universität Bremen

Egal ob calvinistisch oder lutherisch: Mädchen und Frauen war der Besuch von Schulen und Hochschulen verboten. „Eine eventuelle elementare Schulbildung wie Lesen, Schreiben, Rechnen erfolgte zu Hause oder in sogenannten Klippschulen. Eine staatliche weiterführende Schulbildung gab es für Frauen so gut wie nicht“, sagt Hermes-Wladarsch. Höhere Töchterschulen, Bürgermädchenschulen oder Internate waren von privaten Initiativen abhängig. Das Ziel dieser Schulen war es meist, aus Mädchen gute Ehefrauen, Mütter und Hausfrauen zu machen.

„Das war der Bremer Pädagogin Betty Gleim nicht genug. Für die Autodidaktin war Bildung der Schlüssel, Mädchen und Frauen zu einem freien, selbstständigen und unabhängigen Leben zu befähigen“, so die Historikerin. 1806 schrieb Gleim Bildungsgeschichte, als sie beeinflusst von Pestalozzis Reformpädagogik eine „Schule für die Töchter der höheren Stände“ eröffnete. Die Schule am Spitzenkiel mit zeitweise vier Klassen und 80 Schülerinnen wurde von Betty Gleim zehn Jahre lang geführt. Die „Zeitung für die elegante Welt“ schrieb 1809, Gleim lehre „mit den neuen Vorschlägen, Ideen und Hilfsmitteln vertraut, nach Pestalozzis Methoden mit Leichtigkeit, Gründlichkeit und dem glücklichsten Erfolg“.

Die Straße Spitzenkiel: ehemaliger Standort von Betty Gleims Mädchenschule heute.
Bildnachweis: Sarah Batelka / Universität Bremen

Wunsch der Kaufmannschaft: weniger Bildung, mehr Ausbildung

Bremen: also eine Wissenschafts- und Handelsstadt? Um 1800 trat die Prioritätensetzung des bremischen Bürgertums zugunsten des Ideals des Kaufmanns immer deutlicher zutage, der als wichtig und bedeutend für das Gemeinwesen gesehen wurde. „Die Gründung einer Navigationsschule 1798 als Keimzelle der Seefahrtschule etwa hatte mehr das Ziel einer verbindlich geregelten Ausbildung der in und für Bremen so wichtigen Seeleute“, erläutert Hermes-Wladarsch. Bürgermeister Johann Smidt (1773-1857), selbst Akademiker und Professor am Gymnasium Illustre, sagte 1844: „Von einem Austausche wissenschaftlicher Bestrebungen kann dabei, wie überhaupt in einer Handelsstadt, wo die Förderung materieller Interessen den Vordergrund einnehmen muss, nur in einzelnen Kreisen die Rede sein.“ Weniger Bildung, mehr Ausbildung, das habe sich die Kaufmannschaft gewünscht. Hermes-Wladarsch: „Die akademische Ausbildung legte mit Ausnahme der Theologie den Schwerpunkt auf die praktische Nützlichkeit: Dazu zählten Naturwissenschaft, Jurisprudenz und Medizin.“

Wissenschaft und Bildung verschwanden immer mehr ins Private und wurde in vom Bürgertum organisierten Vereinen und Vereinigungen – wie beispielsweise Lesegesellschaften – praktiziert.

1947 wurde in Bremen abermals die Gründung einer Universität diskutiert. Die Hochschule sollte die Werte der jungen Nachkriegsdemokratie vermitteln und akademisch eine Universität neuen Typs werden. Trotzdem spielte in den zeitgenössischen Überlegungen die akademische Geschichte Bremens eine Rolle: „Es geht um die Reste des alten Katharinenklosters“, schrieb Hobby-Historiker Johann Hinrich Prüser, Bruder des Staatsarchivleiters Friedrich Prüser, 1949 in einem Leserbrief an den Weser Kurier, „um eine Stätte, die im Mittelalter im kirchlichen und später im kulturellen Leben unserer Stadt, als in den alten Klostergebäuden das Gymnasium illustre, Bremens hohe Schule, Unterkunft gefunden hatte, eine sehr bedeutende Rolle gespielt hat.“ Prüser mahnte, nicht auf die Gelegenheit zu verzichten, „die Einrichtungen der neuen Universität auch räumlich mit den ehrenvollen Überlieferungen einer alten hohen Schule zu verknüpfen“. Bis die Universität Bremen eröffnet wurde, vergingen noch gut 24 Jahre. Zwischen Aufbrüchen, Rückschlägen und dem Bekenntnis zur „Bremer Reform-Uni“ sollte die akademische Vorgeschichte keine große Rolle mehr spielen.

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