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Buchtipp: „Die Welt von gestern“ von Stefan Zweig

In dieser Serie stellen wir Menschen vom Campus und ihre Lektüre vor. Diesmal: Marc Avila

Uni & Gesellschaft

Marc Avila ist Naturwissenschaftler durch und durch. Als Direktor des Zentrums für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation (ZARM) und Professor für Strömungsmechanik am Fachbereich Produktionstechnik der Universität Bremen liest er aber auch gerne Literatur, die ihn in andere Zeiten und Welten versetzt und so auf ganz neue Gedanken bringt. Seine Empfehlung: „Die Welt von gestern – Erinnerungen eines Europäers“ von Stefan Zweig.

Zu diesem Buch hat Marc Avila eine besondere Beziehung. Der gebürtige Katalane bekam Stefan Zweigs „Die Welt von gestern“ im vergangenen Jahr von seiner Mutter geschenkt, kurz bevor sie im Alter von 63 Jahren starb. „Durch ihre Krankheit musste sie viel Zeit zu Hause verbringen und hat sich durch die Klassiker gelesen“, erinnert sich Avila. Dabei habe sie auch den Autor Stefan Zweig für sich entdeckt.

Eine Welt, die es nicht mehr gibt

„Die Welt von gestern“, die Zweig beschreibt, ist das Wien Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts. Es sind seine Memoiren, geschrieben im Exil. „Die Zeit, die hier beschrieben ist, war von kultureller Freiheit geprägt“, sagt Avila. Zweig, der aus dem Wiener Großbürgertum kommt, gebildet und weitgereist, erzählt von seinem Leben. Er erinnert sich an seine Jugend.

„Wenn ich lese, möchte ich etwas erfahren. Und wenn das in einer klaren Sprache vermittelt wird, ist das die Art von Literatur, die mir gefällt.“

„Es ist sehr beeindruckend, wie Stefan Zweig das alles erzählt“, erklärt Avila. „Einerseits erinnert der Schriftsteller sich an eine von ihm empfundene goldene Zeit, doch dieses Leben ist ja bereits verloren, als er das schreibt. Alles zerfällt nach und nach.“ Diese Zeit endete, als sich in den 1930er Jahren die Schatten des Faschismus über Europa legten. Zweig ging nach Brasilien ins Exil, doch seine Erinnerung an diese Zeit ist geblieben. Er begann das Buch etwa 1939. Erst nach seinem Suizid im Februar 1942 wurde es in London und Stockholm veröffentlicht.

Ein hundertprozentiger Europäer

Marc Avila ist von der Autobiografie so begeistert, weil es in ihr um den europäischen Gedanken geht. Zweig war ja Weltbürger und reiste viel.“ Eine Idee der Freiheit, die der international arbeitende Wissenschaftler Marc Avila verinnerlicht hat. „Ich fühle mich zu einhundert Prozent europäisch“, sagt der Mathematiker und Physiker, der viel im Ausland gelebt und gearbeitet hat. Sein Büro liegt direkt am Bremer Fallturm. Hier machen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus aller Welt Experimente unter kurzzeitiger Schwerelosigkeit. Der tägliche Austausch mit internationalen Forschenden gehört dazu.

Einfache, gut gewählte Worte

Die klare Sprache ist ein weiterer Aspekt des Buches, der Marc Avila fasziniert. Es ist in einem fesselnden, lebendigen Stil verfasst, der ihn als Leser in den Bann gezogen hat. „Stefan Zweig schreibt phantastisch, nicht in dem Sinne von langen komplizierten Sätzen. Seine Formulierungen sind einfache, sehr gut gewählte Worte, auf den Punkt. Meine Mutter hatte das Buch in der spanischen Übersetzung gelesen. Aber sie wusste, dass mir diese Art zu schreiben gefällt und dass ich es im Original lesen kann.“

Buchcover Die Welt von gestern
Das Buch von Stefan Zweig gefällt Marc Avila auch wegen der klaren Sprache.
© Matej Meza / Universität Bremen

Wie stabil sind Freiheit und Demokratie?

Stefan Zweig, der in Wien und Berlin studierte, erzählt von Aufenthalten in Wien, Berlin und Paris, wo er zeitweise lebte. Doch zeichnet sich bereits ab, wie sich der Nationalsozialismus schnell ausbreitet und der Hass auf Juden wächst – auch an den Universitäten. „Ich habe etwas darüber erfahren, wie die Menschen damals dachten und wie schnell sich eine Gesellschaft verändern kann“, erklärt Marc Avila.

„Manchmal frage ich mich, wie stabil unsere Demokratie ist. Unsere Freiheit ist keine Selbstverständlichkeit. Wir müssen aufmerksam sein.“

Für ihn ist die Autobiografie von Stefan Zweig auch heute noch aktuell. Eine der schwierigsten Herausforderungen unserer Zeit sei es, die Demokratie zu schützen. „Wir haben eine gut funktionierende Demokratie. Aber ich frage mich manchmal, wie stabil sie ist. Wir können nicht erwarten, dass Respekt und Freiheit in Europa selbstverständlich bleiben. Ich bin eigentlich optimistisch, aber wir müssen aufmerksam bleiben.“

Als Junge fasziniert von Jules Verne

Marc Avila liest sehr gerne Sachbücher und Kriminal- und Abenteuerromane. „Früher habe ich im Schnitt ein Buch pro Monat gelesen“, erzählt er. „Doch seit ich kleine Kinder habe, komme ich einfach kaum noch zum Lesen.“

Als Kind hat er die Bücher von Jule Verne verschlungen, erinnert er sich. Später waren es dann Krimis. Henning Mankell gehörte zum Beispiel während seines Studiums zu seinen Lieblingsautoren. „Wenn ich lese, möchte ich etwas erfahren. Und wenn das in einer klaren und direkten Sprache vermittelt wird, ist das die Art von Literatur, die mir gefällt.“

Was ihm an diesem Buch besonders gefällt: „Stefan Zweig hat in seinen Erinnerungen nicht nur sein eigenes Schicksal beschrieben, das ja eng verbunden ist mit seiner jüdischen Herkunft und seinem Beruf als Schriftsteller. Sondern ich erfahre viel über das Lebensgefühl der Zeit Ende des 19. Jahrhunderts und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.“ Es ist ein Panorama dieser Zeit. Und eine scharfe Abrechnung mit der „dümmsten Epoche der Weltgeschichte“, wie Zweig schreibt. Wohl auch deshalb gehört das Buch zu den wichtigsten Werken der deutschsprachigen Exilliteratur.

Wer hat eine Buchempfehlung für andere Leseinteressierten?

Es kann Belletristik sein, aber auch Sachbücher sind interessant. Eine Nachricht an die up2date-Redaktion up2date@uni-bremen.de reicht, und wir kommen zum Interview vorbei.

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