„Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren“

So heißt es im Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Ein Gespräch mit dem Rechtswissenschaftler Professor Lars Viellechner zum Tag der Menschenrechte am 10. Dezember

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Sie gelten für alle Menschen, sind moralische Richtschnur und Grundlage für Abkommen und Gesetze: 30 Artikel umfasst die 1948 von den Vereinten Nationen verabschiedete Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Heute, sagt Professor Lars Viellechner, Direktor des Zentrums für Europäische Rechtspolitik, sind neue Herausforderungen für die Gewährleistung der Menschenrechte hinzugekommen: der Klimawandel und die Digitalisierung.

Herr Viellechner, welchen Stellenwert hatte die Erklärung damals, drei Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges?

Im Grunde war sie die Initialzündung für eine zweite Ära der Menschenrechte. Man hatte gesehen, dass die nationale Gewährleistung von Rechten, wie sie im Zuge der amerikanischen und französischen Revolutionen in den Staatsverfassungen verankert worden war, scheitern kann. Es brauchte ein internationales Auffangnetz, das greift, wenn der nationalstaatliche Menschenrechtsschutz versagt. Internationale Organisationen sollten für ihre Durchsetzung sorgen.

Wobei es sich zunächst um eine unverbindliche Erklärung handelte.

Rechtlich verbindliche Menschenrechtsverträge sind erst später zustande gekommen. Zu ihrer Durchsetzung wurden auch Instanzen wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte geschaffen. Das Grundproblem aber blieb: Gegen die Staaten lassen sich die Entscheidungen nicht zwangsweise vollstrecken. Das ist übrigens bei nationalen Verfassungsgerichten nicht anders. Auch sie sind auf die freiwillige Folgebereitschaft der Regierungen angewiesen. Bei schwersten Menschenrechtsverletzungen kann sich allerdings die Frage stellen, ob nicht die Weltgemeinschaft oder einzelne andere Staaten intervenieren dürfen, wie etwa im Kosovo in den 1990er Jahren.

Trotzdem hat die Erklärung eine große Wirkung erzielt.

Ohne Frage. Die Menschenrechte haben eine enorme rechtliche, moralische und politische Wirkung entfaltet. Menschen können sich auf sie berufen und sie auch auf internationaler Ebene einfordern. Aber sind sie ein universelles Konzept oder ein westliches? In manchen Weltregionen werden sie als eine Art von ideologischer Kolonisierung angesehen, die den eigenen kulturellen Einstellungen nicht entspricht. Insofern wird auch über sie gestritten.

Die Herausforderungen an Menschenrechte heute sind nicht mehr dieselben wie vor 77 Jahren. Welche sind aktuell hinzugekommen?

Vor allem der Klimawandel und die Digitalisierung. Wenn die natürlichen Lebensgrundlagen zerstört werden, können die Menschenrechte zwangsläufig nicht mehr ausgeübt werden. Der Internationale Gerichtshof der Vereinten Nationen in Den Haag hat kürzlich bestätigt, dass auch die Menschenrechte die Staaten dazu verpflichten, Maßnahmen gegen den Klimawandel zu ergreifen. Das Bundesverfassungsgericht hat seinerseits entschieden, dass den Menschenrechten eine intertemporale Komponente zukommt, die schon jetzt betroffen ist. Vereinfacht gesprochen heißt das: Wenn wir jetzt nichts unternehmen, dann können unsere Kinder von ihren Rechten keinen Gebrauch mehr machen. Eine andere Denkrichtung will von diesem menschenzentrierten Weltbild wegkommen und Eigenrechte für die Natur schaffen, also für Flüsse, Berge oder Wälder, die dann stellvertretend durch Menschen eingeklagt werden können. Aber das ist derzeit noch nicht allgemein anerkannt.

Und die Digitalisierung?

Menschenrechte sind ja herkömmlich Abwehrrechte der Einzelnen gegenüber dem Staat. Im Zuge der Digitalisierung drohen aber gerade auch Freiheitsgefährdungen durch die großen privaten Online-Plattformen wie X, Facebook oder Google, die einen enormen Markt haben. Die Frage ist: Muss man hier gewissermaßen eine private, transnationale Dimension der Menschenrechte hinzudenken?

Muss man?

Ich meine schon, dass man das muss. Hier sind Funktionen, die herkömmlicherweise der Staat übernommen hat, in die Hände von Privaten übergegangen, die eigene Regeln aufstellen. Es bedarf einer Regulierung, die der Doppelfunktion dieser Online-Plattformen gerecht wird. Einerseits sind sie Träger von Informations- und Meinungsfreiheit. Sie eröffnen neuartige globale Kommunikationsräume. Andererseits bedrohen sie diese aber auch. Das ist ein sehr schwieriges Unterfangen aus Schutz und Begrenzung zugleich.

Weitere Informationen

Webseite des Zentrums für Europäische Rechtspolitik (ZERP)

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