Der Widerspruch als Thema: Zehn Jahre Worlds of Contradiction

Wie die Uni Bremen von der Exzellenzförderung profitiert hat: Die Forschungsplattform Worlds of Contradiction

Forschung

Sie geht auf die Exzellenzförderung von 2011 bis 2017 zurück: Die interdisziplinäre Forschungsplattform Worlds of Contradiction (WOC). WOC vernetzt die die Geistes-, Kultur-, Sozial-, Rechts- und Erziehungswissenschaften an der Uni Bremen und weit darüber hinaus. Ein Gespräch mit der Erziehungswissenschaftlerin Professorin Alisha Heinemann und dem Sprachwissenschaftler Professor Ingo Warnke.

Sie feiern zehn Jahre Worlds of Contradiction (WOC) – Der Widerspruch hat nichts von seiner Aktualität verloren. Können Sie uns ein paar Beispiele nennen?

Ingo Warnke: Wenn kurzfristig an Wahlen ausgerichtete Politik langfristige Transformationen organisieren muss, wie in der Klimapolitik, wenn die digitale Beschleunigung von Entscheidungen im Kontrast steht zu aufwändig zu erreichenden Kompromissen, etwa in der Bildungspolitik. Mit solchen Widersprüchen haben wir es tagtäglich zu tun. Ein weiteres Beispiel wäre, wenn geschlossene Identitäten von Gruppen einerseits in Frage gestellt werden, andererseits aber Diskurse der Infragestellung neue Abgrenzungen hervorbringen, auch dabei geht es um Widerspruch.

Was genau erforscht WOC?

Alisha Heinemann: Im Kern geht es den Contradiction Studies – Forschung zu Widersprüchen – darum, ein sehr grundsätzliches und weit in unseren Alltag wirkendes Spannungsfeld zu beschreiben und seine Logiken zu verstehen. Nicht nur in der Wissenschaft gibt es ja das Gebot der Widerspruchsfreiheit. Etwas muss oder soll logisch und in sich konsistent sein. Dann ist der Widerspruch eine Relation des Falschen, des nicht Möglichen, des Unwahren. Gleichzeitig gibt es aber die alltäglichen Widersprüchlichkeiten des Zusammenlebens, in denen wir alle uns bewegen. WOC hat hier in Bremen diese Grundspannung des Widerspruchs als Forschungsfeld etabliert und wird auch zukünftig an einer weiteren Ausdifferenzierung dieses Feldes arbeiten.

Inwieweit haben sich die Themen, mit denen Sie sich beschäftigen, in den letzten zehn Jahren verändert?

Ingo Warnke: WOC hat den Anspruch, Widerspruch auch historisch zu betrachten, so dass unsere Forschungen vom Mittelalter bis zur Zukunftsforschung reichen. Wenn es um Widerspruch in der Gegenwart geht, dann sind Zuspitzungen – wie die sogenannte Polarisierung der Gesellschaft – offensichtliche Diskursgegenstände, die auch wir empirisch und theoretisch näher betrachten. Dynamiken der Polarisierung werden uns in den nächsten Jahren ebenso interessieren wie Haltungen der Verweigerung und der damit zusammenhänge Wille zur Unwahrheit und zur Unwissenheit. Gleichzeitig beschäftigen uns auch gegenläufige Tendenzen: Fragen zu Gemeinschaft, Solidarität, Widerstand und Resilienz.

Haben sich auch die Perspektiven und Zugänge zu Themen verändert?

Alisha Heinemann: Das ist ja immer so. Nicht zuletzt durch die zahlreichen empirischen Einzelstudien im DFG-Graduiertenkolleg Contradiction Studies und die Arbeit in unseren Labs und Research Centern hat sich Widerspruch als Forschungsgegenstand natürlich vertieft und verschiebt sich fortlaufend.

Gibt es Beispiele für Erkenntnisse und Ergebnisse, die WOC in den vergangenen zehn Jahren hervorgebracht hat?

Ingo Warnke: Wir beschäftigen uns beispielsweise intensiv mit der Frage, ob und wann es Widersprüche tatsächlich gibt, oder ob und wo sie dadurch, dass sie als solche benannt werden, erst existieren. Ist es tatsächlich ein Widerspruch, religiös und queer positioniert zu sein, oder ist das eine Zuschreibung? Wie kann Streit als eine demokratische Ressource zur Sichtbarmachung konflikthafter Positionen und zur Aushandlung gesellschaftlicher Widersprüche dienen? Wie prägen Daten und Technologien Widersprüche des Politischen? Zu all diesen Fragen und noch vielen weiteren wurden und werden in den letzten Jahren Forschungsprojekte bearbeitet.

Welche Bedeutung haben die Geisteswissenschaften, insbesondere WOC für die Uni Bremen?

Alisha Heinemann: Wir denken, die Humanities haben sich gerade an den interdisziplinären Schnittstellen, die WOC ja in den Blick nimmt, sehr dynamisch entwickelt. Denken Sie an die vielen politischen Debatten über Polarisierung, Fake News, neue und alte Konfliktlinien. Wir sind mit WOC weit sichtbar aufgestellt und das verdanken wir einem großen Engagement der WOC Community und auch der Universität und dem Land. Wir leisten damit einen Beitrag zum Profil der Universität insgesamt und suchen den Dialog mit der Öffentlichkeit, indem wir zahlreiche Transferformate entwickeln und umsetzen. Unser Contradictions Festival in diesem Herbst ist ein gutes Beispiel.

Was viele nicht wissen: Ohne die Exzellenzinitiative würde es WOC nicht geben. Inwiefern?

Ingo Warnke: WOC wurde 2015 von Mitgliedern der Universität Bremen gegründet und zunächst tatsächlich aus Mitteln der Exzelleninitiative gefördert. Wichtig waren damals auch die Creative Units, die gerade in den Geisteswissenschaften das Engagement zur Zusammenarbeit befördert haben. Aus dieser anfänglichen Vernetzung von Forschungsinteressen ist WOC zu dem geworden, was es heute ist: eine international vernetzte wissenschaftliche Einrichtung der Uni, eine Verbundforschungsplattform, die von fünf Fachbereichen getragen wird: Rechtswissenschaft, Sozialwissenschaften, Kulturwissenschaften, Sprach- und Literaturwissenschaften sowie den Erziehungs- und Bildungswissenschaften.

Weitere Informationen

Zur Webseite Worlds of Contradictions

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