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Ein Symbol des Mutes

Die Protestbewegung in Belarus macht weiter, trotz der Repressionen durch die Regierung.

Uni & Gesellschaft

Olga Dryndova ist eine wichtige Expertin für Belarus, dem ehemaligen “Weißrussland”. Die Politikwissenschaftlerin arbeitet für die Forschungsstelle Osteuropa der Universität Bremen. Wir haben sie nach ihrer Einschätzung zur Lage und Perspektive in dem Land gefragt.

In Belarus gibt es derzeit eine weltweit beachtete Oppositionsbewegung. Sie besteht - so scheint es - aus mutigen Frauen an der Spitze, vielen jungen Menschen aus den Städten und wenigen Arbeitern aus einzelnen Fabriken. Worin besteht für Sie das Wesen dieser Massenbewegung?

Das ist eine ziemlich spontane Initiative, die keine starke, nachhaltige Struktur hat. Es gibt auch kein politisches Zentrum, das die Proteste auf den Straßen anführt. Die Menschen in Belarus organisieren sich selbst. Sie haben sehr schnell gelernt, über soziale Netzwerke, vor allem die Telegram-Kanäle zu kommunizieren. Der Koordinierungsrat, der gebildet wurde, um Lukaschenko zum Dialog aufzufordern, versuchte bewusst, viele soziale Schichten und zivilgesellschaftliche Akteure, darunter die Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch, zu repräsentieren. So war auch schon die Wahlkampagne der Opposition angelegt – die klassische parteipolitische Opposition hatte dabei kaum eine Rolle gespielt.

Gegen diesen Koordinierungsrat wurde jetzt ein Strafverfahren initiiert. Das zeigt: Der Staat sieht diese Struktur nicht als legitim an. Jetzt ist die 72-jährige Swetlana Alexijewitsch die letzte, die noch nicht verhaftet oder mit Gewalt ins Ausland gebracht wurde. Einige Mitglieder des Koordinierungsrates sind in Polen, wurden bedroht und haben das Land verlassen, nicht alle freiwillig. Maria Kolesnikowa wurde verhaftet, die Behörden wollten sie abschieben, sie hat ihren Pass an der Grenze zerrissen und ausgesagt, dass ihr Mord angedroht wurde.

Warum sind es vor allem Frauen, die an vorderster Front stehen?

Sie sind zu Symbolfiguren des Protestes geworden. Es gab drei potenzielle Kandidaten, die gute Chancen hatten, aber sie wurden gar nicht erst zur Wahl zugelassen, weil sie dem System zu gefährlich waren. Die Frauen, die diese Männer vertreten haben, haben sich entschieden, weiterzumachen. Das ist für die Menschen in Belarus ein Symbol der Solidarität, aber auch Symbol des Mutes geworden, weil es in einem autokratischen Land wirklich gefährlich ist, so eine große Wahlkampagne zu initiieren.

„Ich glaube nicht, dass Lukaschenko es schafft, fünf weitere Jahre an der Macht zu bleiben.”
© Natalia Lipchanskaya

Ändert sich gerade der Umgang mit Oppositionellen?

Ja, dieses Abschieben aus dem Land ist neu. Auch früher gab es zwar nach den Wahlen schon Proteste, aber die haben nur bis zu wenigen Tagen gedauert und wurden in erster Linie von den Oppositionsparteien organisiert, die nicht so populär waren und es nicht geschafft haben, die breite Bevölkerung zu mobilisieren.

Da war es auch schon so, dass Kandidaten nach den Wahlen festgenommen wurden, aber dass sie gezwungen werden, das Land zu verlassen, ist eher neu. Das hat damit zu tun, dass der Staat versucht, sie in den Augen der Protestierenden zu diskreditieren. Er will vorführen, dass sie feige sind und nicht bei den Menschen bleiben wollen, sondern vom Ausland finanziert werden. Oder dass sie das Ganze nicht für das Land gemacht haben, sondern für ihre Karriere. Das ist die Botschaft, die das Staatliche Fernsehen in Belarus verkündet. Aber für die meisten Menschen ist das nicht glaubwürdig. Sie verstehen durchaus, dass auf die Frauen Druck ausgeübt wird.

Die Proteste halten ja schon lange an: Warum ist das so?

Zum einen sind es langfristige Gründe: Die wirtschaftliche Situation hat sich in den letzten Jahren verschlechtert und ist durch die Pandemie noch dramatischer geworden. Dazu haben sich Menschen während der Pandemie nicht vom Staat geschützt gefühlt. Die Unzufriedenheit mit fehlenden Eindämmungsmaßnahmen und Lukaschenko persönlich war enorm. Dann hat die Präsidentschaftskampagne begonnen.

Da passierte etwas völlig Neues: zwei populäre Kandidaten kamen nicht aus der Parteiopposition, sondern aus den Eliten. Als dritter wollte dazu ein bekannter YouTube-Blogger kandidieren. Damit wurden unterschiedliche Zielgruppen angesprochen. Viele, gut ausgebildete Menschen waren mit Lukaschenko unzufrieden. Es war eigentlich egal, für wen man abstimmte. Wichtig war: gegen Lukaschenko. Auch das ist neu für Belarus: aus Protest abzustimmen statt zu schweigen. Eine ehemalige Hausfrau ohne politisches Programm scheint so die Mehrheit bekommen zu haben. Das war ein starkes Zeichen dafür, wie müde die Menschen vom Präsidenten waren.

Friedliche Straßenproteste – wie wird es weitergehen? Gewalt oder Dialog?
© AdobeStock / sergeimelnikov

Wie wurden die Menschen angesprochen?

Es ist gelungen, die Menschen zu mobilisieren, nicht indem man sagt: „Das Regime ist schlecht“, sondern „die Menschen sind gut“. Das klang für viele Experten irgendwie naiv. Aber ich habe gleich gedacht, das ist doch eine gute Botschaft, zu sagen: Ihr schafft das! Das hat ihnen vorher noch niemand gesagt. Was wir jetzt sehen, ist eine Folge davon, dass das Empowerment von diesem Frauen-Trio kam. Sie haben den Bürgerinnen und Bürgern gesagt, dass sie alle legitimen Mechanismen nutzen sollen, zum Beispiel Beschwerden einreichen oder die Wahl selber beobachten. Das wirkte zunächst naiv, weil in der Autokratie der Rechtsstaat nicht funktioniert. Aber es trug dazu bei, dass die Menschen wenigstens anfangen, Gesetze zu lesen und zu verstehen, was man als Bürger des Landes darf. Dadurch kamen viele dazu, die vorher nicht politisch aktiv waren.

Es gab auch kurzfristige Gründe: Die Wahlfälschung, die die Menschen mit ihren eigenen Augen sehen konnten. Und natürlich die Repressionen. Was passiert ist, diese massenhafte Folter, ist beispiellos. Das hat die Menschen noch weiter mobilisiert.

Welche realistische Perspektive für die Opposition in Belarus sehen Sie?

Was der Staat jetzt versucht, ist einen parallelen Dialog mit der Gesellschaft anzufangen und eine Verfassungsreform durchzuführen. Angeblich soll dann nach einem Referendum die Präsidentschaftsmacht beschränken werden und in ein paar Jahren sollen dann Neuwahlen stattfinden. Die Regierenden wollen nicht mit der neuen Opposition reden, sondern mit prostaatlichen Organisationen in einen Dialog oder besser gesagt Scheindialog treten. Von Russland haben wir schon auch gehört, dass der Koordinierungsrat eher nicht legitim sei. Ich glaube aber eher nicht, dass die Gesellschaft das akzeptiert.

Aber sind Sie trotzdem optimistisch?

Was heißt optimistisch? Ich glaube nicht, dass Lukaschenko es wieder schafft, fünf Jahre an der Macht zu bleiben, das hat er auch schon selbst zugegeben. Die Frage ist jetzt nur, wie und ob mit Gewalt oder ob durch Dialog. Das hängt von mehreren Faktoren ab. Wie lange die Proteste gehen, wie sich die Eliten verhalten. Natürlich hängt es auch von Russland ab. Ohne Unterstützung von Russland wäre Lukaschenko nicht mehr an der Macht”.

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