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„Es ist ein Anschreiben gegen Forschungs­meinung“

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Bremen befassen sich mit Sklaverei im Alten Reich

Forschung

Seit dem 19. Jahrhundert galt in der Geschichtswissenschaft: Im frühneuzeitlichen Deutschland hat es Sklaverei als rechtliche Institution nicht gegeben. Historikerin Professorin Rebekka von Mallinckrodt fand 2017 eindeutige Belege, die das Gegenteil beweisen. Im Forschungsprojekt „The Holy Roman Empire of the German Nation and its Slaves“ wollen sie und ihr Team das Ausmaß und die Bedeutung der Verschleppung von Menschen im Alten Reich untersuchen.

„Unser Bild von Sklaverei ist sehr stark von der Plantagensklaverei in Nord- und Südamerika geprägt“, erläutert Rebekka von Mallinckrodt, Professorin für Geschichte der Frühen Neuzeit der Universität Bremen. „Wir gehen davon aus: Sklaven sind die, die zu hunderten und tausenden auf Zucker- und Baumwollfeldern arbeiteten. Diese Art Sklaverei gab es hier natürlich nicht.“ Vielmehr habe es sich im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation – dem Herrschaftsbereich der römisch-deutschen Kaiser vom Spätmittelalter bis 1806, schlicht „Altes Reich“ genannt – um versklavte Einzelpersonen oder Gruppen gehandelt, die Teil des Haushalts waren.

Keine Sklaven-Gesetze im Alten

Noch im Jahr 2000 schrieb der renommierte Historiker Professor Jürgen Osterhammel in seinem Essay über „Sklaverei und die Zivilisation des Westens“: „Sklaven gab es anderswo; es gab sie nicht in Deutschland. Die Deutschen nahmen sie aus der Ferne wahr.“ Grund für diese Annahme war laut von Mallinckrodt die Tatsache, dass es im Alten Reiches keine Gesetzesgrundlage zur Sklaverei gegeben hat. „Die Forschung ging davon aus: ,Den Rechtsstatus gab es nicht, also gab es auch keine Sklaven‘.“ Zwar hätten Menschen afrikanischer Herkunft in den deutschen Territorien gelebt, häufig hätten geschichtswissenschaftliche Arbeiten allerdings argumentiert, dass diese „gerettet“ und „freigekauft“ oder der Dienerschaft zugeordnet worden seien. „Vielfach gingen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auch davon aus, dass die Menschen durch die Taufe oder die Ankunft im Reich befreit wurden.“

Dieser Vertrag zwischen Kapitän Robert Gordon und Franz Christian von Borries von 1765 hält den Verkauf des vierzehnjährigen Yonga fest. Die Rückseite dokumentiert die Schenkung Yongas an Graf Leopold zur Lippe 1789.
Bildnachweis: „Landesarchiv NRW – Abteilung Ostwestfalen-Lippe – Archivsignatur“

„Die Konfliktfälle machen deutlich, dass die Institution der Sklaverei rechtlich existierte.“

Rebekka von Mallinckrodt fand in den Akten einer Petition und eines Gerichtsprozesses aus Brandenburg-Preußen und dem Fürstentum Lippe Belege dafür, dass es Sklaverei im Alten Reich durchaus als rechtliche Institution gegeben hat. „Die Konfliktfälle zeigen, dass Eigentumsrechte ausdrücklich und mit Nachdruck eingefordert und von Justiz, Verwaltung und Souverän bestätigt wurden. Sie machen deutlich, dass die Institution der Sklaverei rechtlich existierte.“ In beiden Fällen ging es um verschleppte Männer aus Afrika, deren Petition beziehungsweise Klage dazu geführt hatten, dass Gerichte und Gutachter explizit zur Sklaverei Stellung beziehen mussten.

Konfliktfälle als Beleg

Der erste Fall – in der Forschung bekannt als „Rechtsgeschichte eines erkauften Mohren“ – handelte von einem in den Quellen namenlosen Mann, der als Sklave des preußischen Beamten Joachim Erdmann von Arnim (1741– 1804) lebte und seinen Weiterverkauf 1780 mit einer Petition an den König von Preußen Friedrich II. (1712–1786) verhindern wollte. Der Gutachter des Berliner Kammergerichts urteilte, dass der Besitz von Sklaven nach dem Naturrecht erlaubt sei und der Beklagte von Arnim den Mann rechtmäßig weiterverkaufen konnte. Der zweite Fall trug sich im Fürstentum Lippe zu. Der schwarze Diener Franz Wilhelm Yonga (ca. 1751–1798) klagte 1790 vor dem höchsten lippischen Gericht gegen seinen ehemaligen Herrn und Besitzer, den geheimen Rat Franz Christian von Borries (1723–1795). Anlass war die Schenkung Yongas an den Grafen Leopold zur Lippe 1789. Von Borries hatte Yonga als vierzehnjährigen Jungen in London von einem Schiffskapitän gekauft, taufen lassen und ihn mehr als zwanzig Jahre als Friseur und Diener in seinem Haushalt beschäftigt. Yonga selbst glaubte allerdings, durch die Taufe befreit worden zu sein, auch wenn er in all den Jahren keinen Lohn erhalten hatte. Die Hoffnung, im Alter versorgt zu sein, hatte ihn seinen eigenen Worten zufolge durchhalten lassen.

Frühneuzeit-Professorin Rebekka von Mallinckrodt
Bildnachweis: Harald Rehling / Universität Bremen

„Sklaverei ist von Leibeigenschaft deutlich zu unterscheiden und das tun auch die Zeitgenossen.“

Vor Gericht blieb von Borries bei seinem Anspruch auf Eigentum und begründete es mit der Sklaverei: „Er war und blieb aber bey alle dem Sclave und mein leibeigener Knecht auch bar erkauftes Eigenthum. […] er war und blieb mir […] stets frey ihn nach guthfinden wieder zu verkauffen, zu vertauschen und zu verschenken.“ Auch in diesem Fall gab das Gericht letztendlich dem Sklavenbesitzer recht. „Es argumentierte, dass die Taufe nicht grundsätzlich zur Befreiung führe und es in Deutschland kein Gesetz gebe, welches die Rechte der Knechtschaft aufhebe“, hebt von Mallinckrodt hervor. Über diesen Einzelfall hinaus hätten die Lippischen Räte das römische Recht und damit die Sklaverei in der antiken Form für die ,Servitut der Negern‘ in Deutschland für gültig erklärt. „Hier wurde keine neue Praxis dokumentiert, sondern eine Realität ausdrücklich benannt. Die beiden Rechtsfälle stellen somit Belege für Versklavungspraktiken im Reich dar, auch wenn es keine Plantagensklaverei wie in den Kolonien gab.“

Unterschied: Sklaverei und Leibeigenschaft

Zwar gab es im frühneuzeitlichen Deutschland Menschen, die unfrei waren, zu Arbeit gezwungen wurden und der Gerichtsbarkeit ihrer Herren unterlagen – Leibeigene. Von Mallinckrodt betont jedoch die Unterschiede. „Sklaverei ist von Leibeigenschaft deutlich zu unterscheiden und das tun auch die Zeitgenossen: Sowohl Laien als auch Juristen.“ Leibeigene hätten rechtlich einen anderen Status gehabt. „Sie galten vor dem Gesetz als Personen und es gab seit dem Deutschen Bauernkrieg im 16. Jahrhundert das Klagerecht der Untertanen. Sie hatten nicht nur die Möglichkeit, selbst zu klagen, sondern sie konnten auch als Zeugen aussagen.“

Sklaven hingegen seien rein rechtlich betrachtet keine Personen gewesen, sondern „bewegliches Gut“. Im Gegensatz zu Leibeigenen waren sie vor Ort in der Regel nicht familiär und verwandtschaftlich vernetzt und konnten so im Krisen und Konfliktfall auf keine Ressourcen zurückgreifen, wie von Mallinckrodt ausführt. Das sei eine sehr viel schwierigere Situation gewesen als für Leibeigene. „Bei den Juristen gab es ein ganz deutliches Bewusstsein dafür, dass das zwei unterschiedliche Dinge sind.“ Ihre Forschung beschreibt Rebekka von Mallinckrodt als „Anschreiben gegen einschlägige Forschungsmeinung“. Einige Kolleginnen und Kollegen würden skeptisch auf ihre Funde reagieren, weil bislang nicht viele so eindeutige Quellen bekannt seien. Es sei deswegen wichtig, möglichst zahlreiche Fälle zu finden. Diese Skepsis zu widerlegen sei aber auch enorm motivierend, denn schließlich seien solche Geschichtsbilder auch für die gegenwärtige Gesellschaft von Bedeutung. Die Historikerin und ihr Team untersuchen ganz unterschiedliche Quellen, um die Geschichte der Sklaverei in Deutschland zu erzählen. Neben Schriftgut wie Briefe, Rechnungen und Gerichtsakten ziehen sie beispielsweise auch Gemälde heran. „In der Frühen Neuzeit waren Porträts mit schwarzen Dienerinnen und Dienern als ,Begleitperson‘ zum Porträtierten in Mode. Wir versuchen nun, anhand von Haushaltsbüchern herauszufinden, ob es sich bei diesen Figuren nur um einen Bildtopos oder um eine reale Person handelt.“

Die Historikerin und ihr Team untersuchen ganz unterschiedliche Quellen. Neben Schriftgut wie Briefe, Rechnungen und Gerichtsakten ziehen sie beispielsweise auch Gemälde heran. Auf diesem Bild ist die Äbtissin von Herford, Johanna Charlotte von Anhalt-Dessau, mit dem afrikanischen Jungen „Carl Heinrich Leopold“ zu sehen. Er kam 1734 in ihren Haushalt.
Nachweis des Bildausschnitts: Städtisches Museum Herford

Schwierige Quellenlage

Die Quellensuche insgesamt sei allerding mühsam. Das liegt nach von Mallinckrodts Worten einerseits an fehlenden Strukturen, so gab es im Alten Reich keine Registrierungspflicht von Sklaven wie in Frankreich oder den Niederlanden. Andererseits war es dem jungen Alter der verschleppten Menschen geschuldet. „Ihre Handlungsmöglichkeiten zu Beginn der Gefangenschaft waren eingeschränkter und ihre emotionale Abhängigkeit vom Besitzer war größer als bei Erwachsenen.“ Es sei daher auch nicht verwunderlich, dass Selbstzeugnisse wie zum Beispiel die Autobiografie Olaudah Equianos in Großbritannien für das frühneuzeitliche Deutschland bislang noch nicht gefunden worden seien.

Sklavinnen und Sklaven im Alten Reich – das waren oft Kinder. „Sie wurden von Kaufleuten, Missionaren, Diplomaten, Seemännern und Soldaten als ,exotische Mitbringsel‘ von ihren Reisen in die Kolonien oder nach Afrika nach Hause mitgenommen.“ In Europa angekommen wurden die Mädchen und (weitaus häufiger) Jungen oft mit großem Gewinn an Mitglieder des Adels verkauft. „Um Arbeitskraft ging es bei dem Kauf von Sklavinnen und Sklaven anders als in den Amerikas weniger“, hebt von Mallinckrodt hervor. Prestige: Das sei das Hauptmotiv dieses Menschenhandels gewesen. Das würden die Art der Aufgaben, der relativ hohe Preis und der Beschaffungsaufwand verraten. „Sklaven waren in Europa deutlich schwieriger zu bekommen und teurer als an der afrikanischen Küste oder in den Kolonien. Eine Person aus Afrika für alle gut sichtbar zum Trompete spielen, Tisch decken oder als Kutschbegleitung war ein Statussymbol, das laut der Historikerin den Mitmenschen Vermögen und soziales Kapital demonstrierte. „Es zeigte: Ich kann mir dies leisten und ich habe die nötigen Verbindungen, an diese Menschen heranzukommen.“

„Möglichst jung und möglichst dunkel“

Historische Quellen wie „Bestell-Briefe“, die nach Amsterdam und Lissabon geschickt wurden, würden von den Vorlieben der Käufer berichten. „Die Kinder sollten in den meisten Fällen möglichst jung und möglichst dunkel sein. Die dunkle Hautfarbe galt als exotisch, so konnten sich die Hausherren mit Weltläufigkeit schmücken.“ Das Alter der Kinder hatte laut von Mallinckrodt praktische Gründe. „Kinder galten erst einmal als süß. Aber zudem lernten sie die Sprache schnell, wurden als nicht bedrohlich empfunden und konnten noch erzogen und geformt werden.“ Besonders im 18. Jahrhundert – der Hochzeit des Atlantischen Sklavenhandels – lässt sich der Kinderkauf anhand vieler Beispiele belegen, wie die Forscherin erläutert.

So erstand der Schiffszimmermann Martin Harnack einen siebenjährigen Jungen in Guinea und verkaufte ihn in Preußen an den Königsberger Beamten Jakob Philipp Manitius (1698– 1749) für hundert Reichstaler weiter. Der Kaufvertrag hält fest, dass Harnack „den Mohren-Knaben, als seinen bisherigen Leibeigenen Sclaven zugleich, nebst allem an demselben habenden Recht der Leib-Eigenschafft, übergeben hat.“ Graf Ludwig Ferdinand von Wittgenstein-Berleburg (1712–1773) wurden 1752 zwei zwölfjährige, dunkelhäutige Jungen „alß ein Präsent auß Holland übersandt“. Die Äbtissin von Herford, Johanna Charlotte von Anhalt-Dessau (1682–1750), erhielt 1734 den afrikanischen Jungen Carl Heinrich Leopold. Auch der Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. (1713-1740), König in Preußen, bestellte und erhielt Jungen aus England. Rebekka von Mallinckrodt hält fest: „Mit auffällig großer Selbstverständlichkeit wurden die als Sklavinnen und Sklaven gekauften Menschen ins Alte Reich mitgebracht und dort weiterverkauft oder verschenkt. Das hätte man mit einem Leibeigenen legal nicht tun dürfen.“

Informationen zum Projekt

Das Forschungsprojekt „The Holy Roman Empire of the German Nation and its Slaves” läuft seit 2015. Insgesamt beträgt die Projektdauer fünf Jahre. Gefördert wird es vom European Research Council (ERC) mit über eine Millionen Euro. Zwei Doktorandinnen schreiben im Projekt ihre Doktorarbeit, ein Historiker habilitiert sich, eine Datenbank verschleppter Menschen im Alten Reich befindet sich im Aufbau. Ziel ist es, systematisch zum besseren Verständnis des Ausmaßes und der Bedeutung der Verschleppung und Versklavung von Menschen im Alten Reich beizutragen.

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