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Künstliche Intelligenz in der Pflege

Wie sinnvoll ist der Einsatz von Technik und Künstlicher Intelligenz (KI) in der Pflege? Was geht, was ist schwierig? Forschende am Institut für Public Health und Pflegeforschung arbeiten an Antworten.

Forschung / KI

Künstliche Intelligenz im Pflegealltag? Ist das ein Horrorszenario oder ein guter Weg aus dem Pflegenotstand? An einer wissenschaftlich fundierten Antwort auf diese Frage arbeiten unter anderem Professorin Karin Wolf-Ostermann und ihr Team am Institut für Public Health und Pflegeforschung (IPP) der Universität Bremen. Sie erforschen sinnvolle Szenarien für den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI).

Wenn im Pflegeheim die dritte Person zum Skatspielen fehlt. Wenn die Wasserflasche unerreichbar ist. Wenn der Pflegekraft beim Umlagern von Patient:innen der dritte Arm fehlt. All das sind Szenarien, in denen Roboter und Künstliche Intelligenz bereits heute zum Einsatz kommen, vor allem in der Forschung. „Da geht aber noch mehr“, ist Professorin Karin Wolf-Ostermann überzeugt. Vor allem, wenn es um spürbare Entlastung von professionellen Pflegekräften aber auch versorgenden Angehörigen durch den Einsatz von KI gehe.

Die Pflegewissenschaftlerin hat das Feld der Mensch-Technik-Interaktion bereits vor einigen Jahren für sich entdeckt – genau wie viele weitere Forschende, die aus unterschiedlichsten Disziplinen kommen. In Bremen gehören beispielsweise das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI), das interdisziplinäre Netzwerk „Mind Media Machines“, aber auch die Abteilung Gesundheit, Pflege und Alterssicherung am SOCIUM der Universität Bremen zu den besonders aktiven Akteuren in diesem Forschungsfeld.

Eine komplett eingerichtete Wohnung für die Forschung

Die Ansätze sind dabei sehr vielfältig. Seit 2009 gibt es in Bremen beispielsweise das Bremen Ambient Assisted Living Lab, kurz BAALL , in dem Forschende des DFKI und der Universität gemeinsam mobile Assistenz- und Unterstützungssysteme für künftige Senioren entwickeln und hinsichtlich ihrer Alltagstauglichkeit prüfen. Das BAALL ist eine komplett eingerichtete Wohnung, die sich den Bedürfnissen der Bewohner anpasst. Dazu zählen automatisch höhenverstellbare Küchenschränke, ein intelligenter Kleiderschrank, der Vorschläge zur Wahl der Kleidung gibt und mit spezieller Sensorik ausgestattete Rollstühle und Rollatoren, die im Alltag unterstützen.

Welche Termine stehen heute an und wie ist das Wetter? Der smarte Kleiderschrank macht anhand dieser Informationen Vorschläge.
© Annemarie Popp / DFKI

Für Wolf-Ostermann ist das sehr spannende Forschungsarbeit, die sie und ihr Team vom IPP genau beobachten. Denn ihr Ansatz geht noch einen Schritt weiter. „Wir sehen unsere Hauptaufgabe darin, Anwendungsmöglichkeiten von Technik in der realen Versorgung zu erforschen und die Perspektive der Pflegenden – egal ob zu Hause oder in einer Einrichtung – in die Forschung einzubringen. Die menschliche Komponente darf nicht vergessen werden“, sagt Wolf-Ostermann. Schließlich gehe es um eine gelungene Interaktion zwischen Mensch und Maschine, da sollten alle Betroffenen einbezogen werden – auch, damit Berührungsängste vermieden werden.

Zitat: „Hier liegt eine Menge Arbeit vor uns“ Pflegewissenschaftlerin Karin Wolf-Ostermann

Trotz ihrer unterschiedlichen Herangehensweisen an das Thema eint alle Forschenden ein Ziel: Herausfinden, wo der Einsatz von KI sinnvoll ist, welche Grenzen es gibt, was ethisch vertretbar ist. „Hier liegt noch eine Menge Arbeit vor uns“, meint Wolf-Ostermann.

Professorin Karin Wolf-Ostermann erforscht sinnvolle Einsatzmöglichkeiten von KI in der Pflege.
© Karin Wolf-Ostermann

Im Jahr 2055: 70 Prozent mehr Pflegebedürftige

Klar ist: Das Sicherstellen einer guten Pflege ist eine der großen Herausforderungen unserer Zeit. Wissenschaftliche Prognosen gehen davon aus, dass die Zahl der Pflegebedürftigen in der Langzeitpflege im Jahr 2055 um bis zu 70 Prozent höher liegen wird als 2015. Da scheint der Einsatz neuer Technik ein vielversprechender Weg zu sein, um die adäquate Pflege all dieser Menschen sicherstellen zu können. „Außerdem kann Technik dazu beitragen, die Selbstständigkeit und Selbstbestimmung von Pflegebedürftigen zu erhöhen und gleichzeitig das Pflegepersonal zu entlasten“, erläutert die Gesundheitswissenschaftlerin.

„Keine Technik kann und darf menschliche Zuwendung in der Pflege ersetzen“ Pflegewissenschaftlerin Karin Wolf-Ostermann

Klingt alles super, doch es gibt einen Knackpunkt: Das Einsatzgebiet. Es geht ja nicht um mehr Technik in einer Fabrik oder beim Warenverkehr, sondern im direkten Umfeld des Menschen. Wer pflegebedürftig ist, ist zudem besonders schutzbedürftig, teils sogar wehrlos. All diese Menschen haben ein Recht auf einen menschenwürdigen Lebensabend. Kann Technik das alleine gewährleisten? „Nein“, stellt Wolf-Ostermann klar: „Keine technische Lösung sollte jemals mehr als ein unterstützendes Werkzeug sein. Der Mensch ist und bleibt unverzichtbar“.

Tür auf oder zu? Per Smartphone können wichtige Teile der Wohnung gesteuert werden. Auch der selbstfahrende Rollstuhl kann herbeigerufen werden.
© Annemarie Popp / DFKI

Zu menschenwürdiger Pflege gehöre eben viel mehr als das Waschen und Anreichen von Essen und Getränken. Aber – wenn beispielsweise ein Roboter regelmäßig Getränke bringt, entlaste das die Pflegekraft in ihrem Versorgungsauftrag und sie könne sich in ihrer knapp bemessenen Zeit um andere Dinge kümmern, die mehr menschliche Zuwendung geben als das im aktuell oft streng getakteten Pflegealltag möglich ist.

Schwarmwissen für alle Pflegenden

Wolf-Ostermann hat noch ein anderes Beispiel parat für mehr Effizienz und Unterstützung durch KI-Einsatz: Für pflegebedürftige Menschen und ihre versorgenden Angehörigen gibt es eine Vielzahl von Unterstützungsangeboten, jedoch ist dieses Angebot für Laien oftmals unübersichtlich. „Beispielsweise sind Fragen dazu, welche individuell sinnvollen Angeboten gibt es, wer hilft mir bei der Organisation solcher Angebote, wie ist die Finanzierung geregelt und so weiter wichtige Fragen, die Angehörige oftmals überfordern“, erklärt die Forscherin. Hier kann künstliche Intelligenz Angehörige sinnvoll dabei unterstützen, auf sie zugeschnittene Beratung und Informationen zu erhalten.

„Unterstützung bei Beratung und Entscheidungsfindung kann eine KI problemlos übernehmen“ Pflegewissenschaftlerin Karin Wolf-Ostermann

Auch bei komplexen Entscheidungssituationen für professionelle Pflegekräfte sieht die Forscherin ein großes Potential für den Einsatz von KI-Systemen. „Eine KI könnte hierbei effizient unterstützen – einfach, weil sie wiederkehrende Muster sofort erkennt und der Pflegekraft in Sekundenschnelle wichtige Informationen aus der Fachliteratur oder Erfahrungswerte vergleichbarer Pflegeszenarien zur Verfügung stellen kann“, erklärt die Forscherin. Wichtig sei allerdings, dass die letztendliche Verantwortung immer bei einem Menschen liege, dieser also immer die letzte Entscheidung trifft.

Schneller bessere Entscheidungen treffen – das stößt beim Pflegepersonal sicher auf großes Interesse, oder? „Kommt drauf an“, schränkt Wolf-Ostermann ein. Allgemein nehme das Vertrauen in KI zu, allerdings sei es extrem wichtig, nicht am „grünen Tisch“ etwas zu entwickeln, sondern die betroffenen Berufsgruppen von vorneherein mit einzubeziehen. „Sie sind ja viel näher am Pflegealltag dran und können am besten einschätzen, was wirklich hilfreich ist“, stellt sie klar.

Weitere Informationen

Institut für Public Health und Pflegeforschung der Uni Bremen - IPP

Bremen Ambient Assisted Living Lab – BAALL

SOCIUM Abteilung Gesundheit, Pflege und Alterssicherung

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