up2date. Das Onlinemagazin der Universtiät Bremen

„Lobbyisten haben sich professionalisiert“

Eine Studie der Universität Bremen zeigt, warum es in der Agrar- und Umweltpolitik wenig Fortschritte gibt

Forschung

Das hätte Dr. Guido Nischwitz nicht gedacht. Kaum hatte die Süddeutsche Zeitung einen Artikel über seine Studie „Verflechtungen und Interessen des Deutschen Bauernverbandes“ veröffentlicht, brachen die Telefonleitungen zusammen. Nischwitz, Abteilungsleiter Regionalentwicklung im Institut Arbeit und Wirtschaft (iaw), ist seither zum Medienstar geworden. ARD, ZDF, die heute-show, diverse Radiosender und mehr als 40 Zeitungen haben die Forschungsergebnisse aus Bremen aufgegriffen. Gemeinsam mit seinem Kollegen Patrick Chojnowski hat der Geograph das brisante 60-seitige Papier im Auftrag des Naturschutzbundes Deutschland (NABU) verfasst.

Herr Nischwitz, Sie und Ihr Kollege haben Verflechtungen in großem Ausmaß aufgedeckt. 93 Akteure und 75 Institutionen haben Sie auf der Grundlage öffentlich zugänglicher Informationen untersucht. Abgeordnete sind gleichzeitig Lobbyisten, Einflussnahmen in großem Stil bestimmen die Agrarpolitik. Gab es da auch Kritik oder gar Drohungen?

Wir haben offenbar sauber gearbeitet, niemand hat unsere Ergebnisse in Frage gestellt. Interessant ist, dass viele unserer Gesprächspartner aus Verbänden, Verwaltung und Politik auf keinen Fall öffentlich genannt oder zitiert werden wollten. Gleichzeitig sind die von uns in der Studie herausgestellten Multifunktionäre aus der Agrar- und Ernährungswirtschaft, dem Agribusiness, auf Tauchstation gegangen. Die wollten sich nicht öffentlich zu ihren vielen Funktionen und den daraus resultierenden Interessenkonflikten äußern. Am Institut haben uns viele positive Anrufe erreicht, ganz besonders von klein- und mittelständischen Bauern, die lobten: Endlich sagt mal einer etwas. Immerhin sind 90 Prozent der landwirtschaftlichen Unternehmen im Deutschen Bauernverband (DBV), sprich in den Landesverbänden, organisiert. Über die Hälfte fühlt sich nach einer aktuellen forsa-Umfrage dort eher schlecht vertreten, kommt aber aus dem System nicht heraus. In den Dörfern und Regionen existiert durchaus ein sozialer Druck, im DBV organisiert zu sein. Zudem wird ein Rundum-Servicepaket angeboten. Sie müssen sich das wie einen ADAC für Landwirte und Landwirtinnen vorstellen.

Können Sie kurz die Probleme umreißen, die in der deutschen Landwirtschaft auf der Tagesordnung stehen und ja auch Anlass für die Studie waren?

Biodiversität, Gewässer- und Luftqualität, Klima und Tierwohl sind bedroht. Die aktuellen Diskussionen dürften jedem bekannt sein: Nitratbelastung des Grundwassers, Einsatz von Glyphosat, Insektensterben. Gleichzeitig läuft der agrarstrukturelle Wandel zu Lasten der klein- und mittelbäuerlichen Betriebe. Es gab bislang in der deutschen und europäischen Agrar- und Umweltpolitik kaum Fortschritte zur Lösung der drängenden Probleme. Die gemeinsame Agrarpolitik der EU, kurz GAP, steht für fast 40 Prozent des EU-Budgets, es ist der größte Haushaltsposten. Insgesamt werden zwischen 2014 und 2020 rund 408 Milliarden Euro verteilt. Doch viele Versuche, die Direktzahlungen an die Landwirtschaft viel stärker an wirksame Umwelt- und Tierschutzauflagen zu koppeln, wurden bislang immer wieder entschärft. Es steht der Vorwurf im Raum, dass notwendige Reformen und Anpassungen systematisch von Interessenvertretern verwässert oder verhindert werden. Wir wollten mit unserer Studie für mehr Transparenz im politischen Entscheidungsprozess sorgen sowie Hinweisen und Indizien zur Einflussnahme nachgehen.

„Der Vorwurf steht im Raum, dass notwendige Reformen systematisch von Interessenvertretern verwässert oder verhindert werden.“

Das Problem ist aber doch schon lange bekannt?

Ja, das ist es ja gerade. Seit den 1980er-Jahren werden die negativen Folgen der Intensivierung in der Landwirtschaft unter anderem vom Sachverständigenrat für Umweltfragen kritisiert und negative Auswirkungen auf Mensch, Natur und Umwelt beschrieben. Wir haben das schon zur Jahrtausendwende in einer ähnlichen Studie dargestellt. Was ist inzwischen passiert? In der Sache nicht viel, wir mussten aber feststellen, dass sich die Lobbyisten geschickt weiter professionalisiert haben.

Der ambitionierte Gesetzesvorschlag für eine restriktive Gülleverordnung ist nach jahrelangen Diskussionen letztlich gescheitert.
Foto: Gina Sanders / adobe.stock

Können Sie Beispiele nennen?

Wir haben uns die institutionellen und personellen Verflechtungen zwischen Politik, Finanzwirtschaft, Agrarwirtschaft und Ernährungswirtschaft, Agrochemie sowie Behörden und Verbänden genauer angeschaut. So konnten wir rund 560 Verflechtungen identifizieren und anhand von Grafiken visualisieren. Im Mittelpunkt stand die Erfassung von bundesweit relevanten Führungspositionen in Aufsichtsräten und Vorständen. Auffällig sind bis zu zehn Vielfachfunktionäre, die wesentliche Schlüsselpositionen in Politik, Verbänden und Wirtschaft einnehmen. Meist sind sie eng mit dem DBV verbunden. Hierzu gehören dessen Vorsitzender, Joachim Rukwied, mit mindestens 18 herausragenden Posten oder der CDU-Bundestagsabgeordnete und Präsident des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbandes, Johannes Röring, mit 15 Funktionen. Sie sind immer in wesentliche politische Entscheidungsprozesse eingebunden. Angesichts der vielen verschiedenen Funktionen weiß man nicht, welchen Hut sie gerade aufhaben.

Neben den Verquickungen einzelner Landwirtschafts-Funktionäre mit umgebenden interessengeleiteten Unternehmen haben Sie in Ihrer Studie auch Schaltstellen sichtbar gemacht, die raffiniert Einfluss auf die Öffentlichkeit nehmen oder eine Plattform für die Koordinierung von Industrie und Landwirtschaft anbieten.

Ja, dass wir diese Netzwerkknoten offenlegen konnten, war besonders spannend. Hierzu zählt die Verbindungsstelle Landwirtschaft und Industrie, eine Plattform, die explizit Führungskräfte aus Finanzwirtschaft, Agrarhandel, Agrochemie und Bauernverband bündelt sowie das Forum Moderne Landwirtschaft. Nach eigenen Angaben eine schlagkräftige Institution für die Öffentlichkeitsarbeit, um ein positives Bild von der Agrarwirtschaft zu vermitteln. Neben einer Einflussnahme auf gesellschaftspolitische Debatten gehen wir bei beiden Vereinen davon aus, dass sie gezielt auf politische Willensbildungsund Entscheidungsprozesse einwirken wollen.

Hat denn der Verbraucher nicht auch ein gewichtiges Wörtchen mitzureden? Der Klimaschutz ist doch gerade jetzt stärker in den gesellschaftlichen Fokus gerückt, könnte von dieser Seite der Druck zunehmen und könnten ökologisch sauber produzierte Produkte die Nase vorn haben?

Der gesellschaftliche Druck auf Veränderungen in der Landwirtschaft wird zunehmen. Allerdings muss sich dies auch beim Handeln der Verbraucher und Verbraucherinnen an der Ladentheke bemerkbar machen. So lange man meint, dass das Pfund Hackfleisch maximal zwei Euro kosten dürfe, ändert sich nicht viel. Lebensmittel haben in Deutschland preiswert zu sein.

Ihre Studie endet mit konkreten Handlungsempfehlungen. Sie fordern nicht nur ein transparentes Lobbyregister der Politikerinnen und Politiker im Bundestag, sondern auch die Dokumentation des „legislativen Fußabdrucks“. Was ist das?

Ich erkläre das gerne an einem Beispiel: Es gibt einen ambitionierten Vorschlag für eine bundesdeutsche Düngeverordnung, um der Nitratbelastung unseres Grundwassers durch zu viel Stickstoff-Gülleeintrag zu begegnen. Im Zuge der jahrelangen Auseinandersetzungen um diese Verordnung wird am Ende – viel zu spät – ein Gesetzespaket im Bundestag verabschiedet, was nach Expertenmeinung das Nitratproblem eher vergrößert als löst. Zum wiederholten Mal schreitet die EU-Kommission ein und verlangt deutliche Nachbesserungen. Warum ist das so? Wer hat wann mit welchem Bundestagsabgeordneten und in den Bund-Länder-Verhandlungen über diese Verordnung gesprochen und Einfluss auf den Text genommen? Das soll der „legislative Fußabdruck“ klären.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Ich hoffe, dass es gelingt, den Einfluss der Agrarlobby auf Gesetzgebungsprozesse und Politikfelder wie die Umweltund ländliche Entwicklungspolitik zu beschränken und endlich die Probleme anzupacken, die seit vielen Jahrzehnten bekannt sind.

www.iaw.uni­bremen.de

Die Grafik visualisiert zahlreiche einflussreiche Verbindungen, die Nischwitz mit seinem Mitarbeiter Patrick Chojnowski aufgedeckt hat.
Fotos: Harald Rehling / Universität Bremen

Zur Person:

Dr. Guido Nischwitz ist seit 2004 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut Arbeit und Wirtschaft (iaw) der Universität Bremen. Aktuelle Forschungsthemen des 57-Jahrigen sind regionale und ländliche Entwicklungspolitik, Produktive Stadt, Regionale Daseinsvorsorge sowie Regional Governance. Nischwitz ist in Bonn geboren und hat an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Geographie studiert. An der Universität Vechta hat er promoviert. Mehrere Jahre lang war er wissenschaftlicher Mitarbeiter und Forschungsfeldleiter am Institut für ökologische Wirtschaftsforschung IÖW. Guido Nischwitz lebt in einer festen Partnerschaft und ist Vater dreier Kinder.

zurück back


Auch interessant…

Universität Bremen