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„Eine besondere Verantwortung der Umwelt gegenüber“

Klima- und Umweltforschung an der Universität Bremen seit 1971

Uni & Gesellschaft / Nachhaltigkeit

Die Universität Bremen widmet sich dem wohl drängendsten Thema unserer Tage: Sie setzt sich mit Nachdruck in der Klima- und Umweltforschung ein. So ist sie etwa die einzige deutsche Universität, die den weltweiten Verbund „International Universities Climate Alliance“ (IUCA) mitgegründet hat — eine Gemeinschaft aus 35 Universitäten, die in der Klimaforschung auf globaler Ebene führend sind. Dieses Engagement ist nicht neu: Umweltforschung hat an der Universität Bremen eine sehr lange Tradition.

Die Bundesrepublik Deutschland in den 1970er-Jahren: Die Wirtschaftswunderjahre sind vorbei und der Preis des vermeintlichen Fortschritts wird sichtbar — Schadstoffemissionen verschmutzen Luft, Wasser und Boden. Gleichzeitig schwindet das Vertrauen in die angeblich saubere Atomenergie. Die Westdeutschen entdecken den Umweltschutz. Die rot-gelbe Koalition unter Kanzler Willi Brandt begründet das neue Feld der Umweltpolitik. Neue soziale Bewegungen wie Greenpeace und die Anti-Atomkraft-Bewegung entstehen.

Vor diesem Hintergrund wird die Universität Bremen 1971 gegründet und von diesen Konflikten werden ihr Mitglieder geprägt. „Kritische und gesellschaftsrelevante Forschung zu betreiben, das war schon immer der Anspruch der Universität Bremen“, sagt Dr. Doris Sövegjarto-Wigbers, Geschäftsführerin des Nachhaltigkeitsforums und Umweltmanagementkoordinatorin der Universität. Seit ihrer Gründung bekenne sich die Hochschule zu einer besonderen Verantwortung gegenüber ihrer Umwelt. Von Beginn an hätten sich ihre Mitglieder intensiv mit Fragen und Problemen aus der Umweltforschung befasst. Was sind das für Themen, die in den 1970er- und 1980er-Jahren untersucht werden?

Mit Lehre und Forschung an Problemen ansetzen

Ein Beispiel aus der Frühzeit der Hochschule ist das Projekt „Schadstoffbelastung am Arbeitsplatz und in der Industrieregion Unterweser“ (SAIU). Es war der Versuch, „mit Lehre, Forschung und Veröffentlichungen an gegenwärtigen drängenden Problemen anzusetzen“, schreiben die Teilnehmenden in einem Zwischenbericht. Gemeinsam mit Studierenden untersuchen Forschende seit 1973 die ökologischen Folgen von biologischen, chemischen und physikalischen Flussbelastungen. Mit Blick auf die Weser sind das: Salzeinleitungen in die Werra durch den DDR-Kali-Abbau, belastete Einträge aus der Landwirtschaft und Industrieabwässer.

Das Kernkraftwerk Unterweser 1978.
© Klaus Bätjer / Universität Bremen

Mitte der 1970er-Jahre wird die Untersuchung auf das Bremer Trinkwasser ausgeweitet, das in einigen Stadtteilen zu 20 bis 30 Prozent aus aufbereitetem Flusswasser besteht. Der Befund, im Trinkwasser seien krebserregende Stoffe, sorgt für Diskussionen und Konflikte mit der Politik und den Stadtwerken. SPD-Wissenschaftssenator Horst Werner Franke verteidigt die Studie: „Wir sollten froh darüber sein, daß in Examensarbeiten junge Bremer Studenten sehr gesellschaftsrelevante Untersuchungen vorlegen. Genau das haben wir bei der Gründung der Uni gefordert.“

„Die Aufbruchsstimmung, die damals herrschte, finde ich heute bei ‚Students for Future‘ und ‚Fridays for Future‘ wieder. Das macht mir Hoffnung.“ Dr. Doris Sövegjarto-Wigbers

Dr. Doris Sövegjarto-Wigbers, Umweltkoordinatorin und Klimaschutzmanagerin der Universität Bremen.
© Jonas Ginter / WFB

Alternativen zur endlichen Ressource Öl gesucht

Ein anderer Forschungsgegenstand steht rund 45 Kilometer Luftlinie nördlich vom Bremer Stadtzentrum: das Kernkraftwerk Unterweser. 1972 reagieren Forschende auf die Baupläne und gründen eine Kernenergie-Arbeitsgruppe im SAIU-Projekt. Sie kommen zu einem eindeutigen Ergebnis: „Wir — die im Projekt SAIU der Uni Bremen tätigen Hochschullehrer, Mitarbeiter und Studenten — sind der einhelligen Auffassung, dass die praktische Einführung der Kernenergie beim gegenwärtigen Stand von Wissenschaft und Technik nicht verantwortet werden kann.“ Sie fordern einen Baustopp. Dass sie damit Wissenschaft und Aktivismus vermischen, ist ihnen bewusst und nehmen sie in Kauf: „Wir glauben, dass die vielzitierte Verantwortung des Wissenschaftlers für die Folgen seiner Arbeit verlangt, aktiv an den politischen Auseinandersetzungen um die Anwendung von Wissenschaft und Technik in der Praxis teilzunehmen.“

1986 brennen Gebäude beim Chemieunternehmen Sandoz. Das Löschwasser schwemmt 30 Tonnen Gift in den Rhein. Auf einer Länge von 400 Kilometern wird unter anderem die gesamte Aalpopulation getötet.
© Comet Photo AG (Zurich)

1973 bricht in der Bundesrepublik eine „Energie-Panik“ aus: Die Ölpreiskrise verdeutlicht die Abhängigkeit von dieser endlichen Ressource. Alternativen werden erforscht — auch an der Universität Bremen. In der Ausstellung „Energie und Umwelt. Alternative Energien in der Zukunft“ stellt die Universität Bremen 1979 aktuelle Studiengangs- Projekte vor. Im Fach Biologie wird etwa Energiegewinnung aus in Biomasse gespeicherter Sonnenenergie untersucht, im Studiengang Physik wird Windenergie als Alternativen zur Kernenergie erforscht. Im Studiengang Arbeitslehre wird didaktisches Material entwickelt, um Kenntnisse zu Betrieb und Wartung alternativer Energietechnik zu vermitteln.

Paradigmenwechsel in der Umweltforschung

Neben Wissenstransfer ist das Ziel der Ausstellung vor allem ein gesellschaftspolitisches: Die Hoffnung der Bevölkerung auf eine schnelle Lösung aller Energieprobleme soll gedämpft werden, „und zwar nicht, um von den alternativen Energien abzuraten, sondern um im Gegenteil die Bereitschaft zu dem erforderlichen langfristigen Durchhalten zu erhalten.“

Ozonloch, saurer Regen und das Waldsterben verstärken das Umweltbewusstsein der Menschen in den 1980er-Jahren. Die Partei Die Grünen zieht 1983 in den Bundestag. Katastrophen wie der Reaktorunfall in Tschernobyl und das Fischsterben im Rhein durch einen Chemieunfall 1986 katapultiert Umweltthemen in die Tagespolitik. In der Umweltforschung findet ein Paradigmenwechsel statt: Standen Schadensbeschreibungen und Sanierung von Altlasten bislang im Vordergrund, geht es jetzt um das Vermeiden von Schäden und die sinnvolle Gestaltung der menschlichen Umwelt. Konkrete gesellschaftspolitische Fragen stehen im Zentrum. Beispielsweise: Wie lassen sich ökologische Ziele in ökonomische rationales Verhalten umsetzen und wie lässt sich sozialverträglicher Umweltschutz gestalten.

Durch sauren Regen geschädigt: Wald im tschechisch-polnischen Isergebirge.
© Lovecz / wikimedia.org

Knapp 50 Forschungsvorhaben zum Thema Umwelt

An der Universität Bremen befassen sich in den 1980er-Jahren bereits knapp 50 Forschungsvorhaben aus Grundlagenund Anwendungsforschung aus allen Fachbereichen „mit Engagement und Verantwortung mit dem Gegenstand Umwelt“, so Rektor Jürgen Timm. Sie reichen von „Ökologie und ihre biologischen Grundlagen“ über „Baustoffe aus Müll“ bis „Sport als Umweltproblem. Kriterien für eine Umweltverträglichkeitsprüfung von Sportstätten“.

Auch das ökologieorientierte Umstrukturieren der Wirtschaft steht im Zentrum einiger Projekte aus den Fachbereichen Sozial-, Wirtschafts- und Rechtswissenschaft. So untersuchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Kooperation mit der Arbeiterkammer „Schadstoffbelastungen am Arbeitsplatz“, „Umwelt und Recht“ und „Umwelt und Energie“. Der Kooperationsbericht des Projekts „Umwelt und Beschäftigung“ kommt zu dem Schluss, „daß verstärkter Umweltschutz auf keinen Fall ein ,Jobkiller‘ ist“. Ergebnisse wie dieses tragen Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen zurück in die Gesellschaft beispielsweise 1987 auf dem 9. Bremer Wissenschaftsforum „Umweltbelastungen — Umweltgestaltung“. Es soll verdeutlichen, „wo Wissenschaft einen Beitrag zum umweltorientierten Verhalten leisten kann und in welche Richtung Universität, Wirtschaft und Politik in Bremen in der nächsten Zukunft gehen sollte“.

Was beim Besuch im Universitätsarchiv auffällt: Auf viele Fragen, die Gegenstand heutiger Klima- und Umweltdebatten sind, hatten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bereits in den 1970er- und 1980er-Jahren Antworten. Die Umweltpolitik scheint auf der Stelle zu treten. Wie ist es um die Chance bestellt, dass das 1,5-Grad-Klimaschutzziel des Pariser Abkommens noch erreicht wird? Doris Sövegjarto-Wigbers: „Die Aufbruchsstimmung, die damals herrschte, finde ich heute bei „Students for Future“ und „Fridays for future“ wieder. Das macht mir Hoffnung.“

Wie klima- und umweltfreundlich ist die Uni eigentlich selbst?

Diese Frage stellen Studierende des AStA 1995 und formulieren 19 Vorschläge für eine ökologisch effiziente Universität. Kanzler Gerd-Rüdiger Kück nimmt das Engagement ernst und beauftragt die Bildung eines Umweltausschusses. 1997 dokumentiert der erste Umweltbericht der Universität ihre Erfolge im umweltgerechten Handeln der gesamten Einrichtung.

Heute macht sich die Universität Bremen auf den Weg zu einem klimaneutralen Campus. Sie hat sich einem systemischen Klimaschutz verschrieben. Dieser wird zertifiziert, mit konkreten Maßnahmen zur Klimaneutralität umgesetzt und in einem gemeinschaftlichen Prozess an der Universität fortlaufend gestaltet. Ein Beispiel: Sie bezieht ihren gesamten elektrischen Energiebedarf aus Ökostrom.

Eine lange Tradition: Umweltforschung an der Universität Bremen.
© Matej Meza / Universität Bremen

Universitätsangehörige sind zudem ehrenamtlich aktiv: Mitarbeitende produzieren zum Beispiel mit ihrer Genossenschaft „Uni Bremen SOLAR“ auf Uni-Gebäuden Solarstrom mit Fotovoltaikanlagen. Studierende betreiben eine Naturschutzgruppe, die sich um Biodiversität auf dem Campus kümmert. Ziel ist es, mehr Lebensraum für Pflanzen und Insekten zu schaffen. Viele Studierende sind zudem bei der Klima-Bewegung Students for Future aktiv.

Das aktuelle Papier der Universität Bremen zu Klimaund Umweltforschung in Deutsch und Englisch zum Download: https://www.uni-bremen.de/fileadmin/user_upload/presse/download/20210511_Klima_Universitaet.pdf

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