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Atome und Defekte: Zu Besuch in der Kristallografie

Geowissenschaftlerin Ella Schmidt und Chemiker Thorsten Gesing öffnen ihre Labortüren. Mit neuen Methodiken untersuchen sie atomare Strukturen von Kristallen

Forschung

Manche denken beim Wort „Kristalle“ an glänzende bunte Steine, die in Schmuckstücken zu finden sind. Andere haben magische Steine mit Heilkräften vor Augen. Doch Kristalle sind mehr: Sie können Wasser enthärten und dekontaminieren, sie lassen Ziegel feuerfest werden und kommen in Ölraffinerien als Katalysatoren zum Einsatz. Um ihre Eigenschaften und Potentiale wissen die Geowissenschaftlerin Professorin Ella Schmidt und der Chemiker Professor Thorsten Gesing. In ihren jeweiligen Arbeitsgruppen im Fachbereich 5 und Fachbereich 2 der Universität Bremen sind sie auf dem Gebiet der Kristallografie tätig und haben ein besonderes Vorhaben: Anhand neuer Methodiken schauen sie sich an, welchen Einfluss Fehlordnungen auf die Eigenschaften kristalliner Materialien haben – und das Atom für Atom. Mit ihrer Forschung lässt sich verstehen, wie sich Batteriematerialien während des Ladens und Entladens verhalten oder wie Verunreinigungen aus Wasser entfernt werden können.

Atom für Atom

Wer sich noch an den Chemieunterricht erinnert, kennt vielleicht noch die sogenannten Strukturmodelle und weiß, dass sie einem Schema folgen: Neben dem blauen Atom steht das rote, gefolgt von einem weiteren blauen. „Viele Materialien haben jedoch Defekte in ihrer Anordnung, die in kleiner Menge kaum Auswirkungen haben. Wiederholt sich jedoch ein Defekt, zum Beispiel eine Fehlstelle oder Lücke schon in weniger als einem Prozent der Struktur, hat dies Auswirkungen auf das Material“, erklärt Thorsten Gesing mit so einem Schulmodell in der Hand. Interessant wird es aus Forschungssicht, wenn die Verteilung der Atome aktiv beeinflusst wird und diese Leerstellen gezielt verteilt werden. Durch Veränderung der chemischen Zusammensetzung und unter Einfluss unterschiedlicher Temperaturen untersuchen der Festkörperchemiker und seine Arbeitsgruppe, wie dies den atomaren Aufbau der Kristalle verändert. „Nehmen wir Lego-Steine als Beispiel: Wir haben eine Materialstruktur aus roten und blauen Legosteinen und fügen in die Leerstellen – also unsere Defekte – gelbe, grüne und lilafarbene hinzu. Was passiert dann mit dem Material? Kann ich daraus sogar ein ganz anderes Material mit anderen Eigenschaften herstellen?“, beschreibt der seit 2011 an der Uni Bremen tätige Professor für Festkörperchemie.

Thorsten Gesing arbeitet an einem Raman Spektrometer
In der Arbeitsgruppe von Thorsten Gesing am Fachbereich 2 werden Röntgenbeugung und spektroskopische Methoden genutzt, um Materialien und ihre Eigenschaften zu charakterisieren. Auf dem Bild ist Thorsten Gesing an einem Raman Spektrometer zu sehen. Mithilfe dieses Geräts lässt sich erkennen, wie gut sich die Anordnung der Atome gebildet hat und welche Abweichungen es gibt.
© Matej Meza / Universität Bremen

Herausfinden, wo nichts ist

Erforscht werden diese Modifikationen der atomaren Strukturen an Kristallen mithilfe unterschiedlicher Strahlungen. Röntgenstrahlen in einem sogenannten Diffraktometer helfen zum Beispiel, die Position der einzelnen Atome zu finden und sie zu unterscheiden. Infrarote Wärmestrahlung zeigt die Bewegung der Atome zusammen mit ihren direkten Nachbarn. Anhand von Laserstrahlen in einem sogenannten Raman Spektrometer lässt sich erkennen, wie gut sich die Anordnung der Atome gebildet hat und welche Abweichungen es gibt. Die große Herausforderung jedoch: Wie lässt sich feststellen, wo nichts ist? Für dieses Problem gibt es Ella Schmidt. Die seit Februar 2022 an der Universität Bremen tätige Juniorprofessorin in den Geowissenschaften wendet eine neue Methode an, um diese Leerstellen zu identifizieren. „Normalerweise wird zur Bestimmung der globalen atomaren Anordnung die Röntgenbeugung als Methode genutzt, bei der man mithilfe von Röntgenstrahlung den atomaren Aufbau eines Stoffs oder auch mehrerer Substanzen ermitteln kann. Dieses Verfahren kommt zum Beispiel in der Pharmaindustrie zum Einsatz, wenn die Reinheit eines Stoffes bestimmt werden muss. Zur Ermittlung der lokalen Ordnung, also einem Abschnitt innerhalb der Atomstruktur, wird dann normalerweise die Spektroskopie angewendet“, erklärt Ella Schmidt den üblichen Vorgang.

Ella Schmidt bei einer Röntgenbeugung
Mithilfe der Röntgenbeugung kann der atomare Aufbau eines Stoffes ermittelt werden.
© Matej Meza / Universität Bremen

Die Juniorprofessorin macht jedoch das, was eigentlich gar nicht geht: Sie entwickelt Verfahren, mit denen die lokale Ordnung anhand von Röntgenbeugung bestimmt werden kann. So können Defekte in der Atomstruktur genauer identifiziert werden als mit Spektroskopie. Das Ergebnis sieht für Unwissende wie ein einfacher Ausschlag in einem Graphen aus. Für Ella Schmidt ist es viel mehr. Anhand dieser Peaks in bestimmten Abschnitten auf dem sogenannten Beugungsdiagramm kann sie die lokale Ordnung bestimmen und damit die Leerstellen identifizieren.

Ella Schmidt zeigt Thorsten Gesing eine Analyse von Beugungsdiagrammen auf einem Bildschirm
Durch die genaue Analyse von Beugungsdiagrammen kann Ella Schmidt die lokale Ordnung eines Kristalls bestimmen.
© Matej Meza / Universität Bremen

Fachbereichsübergreifende Forschung

Hat Ella Schmidt die Leerstelle identifiziert, kann Gesing mit dem chemischen Part fortfahren und den Kristall synthetisieren und modifizieren, um zu sehen, ob sich die hinzugefügten Atome in die Leerstelle fügen und andere Auswirkungen auf die Atomstruktur haben. So arbeiten die zwei Arbeitsgruppen aus den Geowissenschaften und Chemie Hand in Hand an Grundlagenforschung, um ihrem Ziel näher zu kommen, erklärt die Geowissenschaftlerin Ella Schmidt: „Wir gehen sonst von der Frage aus, welches Material mit welchen Eigenschaften nehmen wir, damit wir eine bestimmte Wirkung erhalten. Ein Beispiel ist die Herstellung von Brennstoffzellen, die langfristig die schweren Batterien in Autos ersetzen und es ermöglichen, 1000 km zu fahren ohne lange zu tanken. Interessanter ist für uns, ob und wie wir das vorhandene Material so modifizieren können, sodass es am Ende die gewünschten Eigenschaften hat.“

Eine hauchdünne Glasspitze für die Forschung an einem Kristall
Nicht mehr als eine hauchdünne Glasspitze braucht es für die Forschung an einem Kristall. Deswegen ist der größte auch nicht länger als ein halber Zeigefinger.
© Matej Meza / Universität Bremen

Wer übrigens große bunte Kristalle, wie man sie aus dem Esoterikladen kennt, in den Laboren von Ella Schmidt und Thorsten Gesing erwartet, findet sie in der Kristallografie an der Universität Bremen nicht. Einen halben Zeigefinger lang ist der größte. Mehr braucht es für die Forschung auch nicht, wie Thorsten Gesing erklärt: „Die meisten Materialien werden als Pulver oder winzige Kristalle untersucht, da für die Röntgenbeugung nur Kristalle so groß wie eine hauchdünne Glasspitze gebraucht werden.“

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